Interview

In Deutschland fallen immer mehr gipshaltige Abfälle an – und trotzdem sind die Recyclinganlagen nicht ausgelastet. Im Interview mit 320° erklärt Jörg Demmich, wie man die bestehenden Hindernisse ausräumen könnte. Und was er von einer Mindesteinsatzquote für Recycling-Gips hält.

„Recycling-Gips wird die Lücke nicht füllen können“


In Deutschland fallen immer mehr gipshaltige Abfälle an. Hinzu kommt, dass durch die Stilllegung von Kohlekraftwerken immer weniger REA-Gips anfällt. Trotzdem fehlen den Recyclinganlagenbetreibern die Mengen und Absatzmärkte. Nicht einmal die Hälfte der recycelbaren Menge wird in neuen Produkten wiederverwendet. Jörg Demmich ist promovierter Ingenieur und Vorsitzender des Rohstoff- und Umweltausschusses beim Bundesverband der Gipsindustrie (BV Gips). Er berät als ehemaliger Bereichsleiter Synthetische Gipse das Unternehmen Knauf.

Herr Demmich, 2015 haben Sie in einem Interview mit 320° gesagt: „Das Gipsrecycling in Deutschland steht im Grunde genommen erst am Anfang.“ Wo verorten Sie das Gipsrecycling aktuell?

Demmich
Demmich

Mittlerweile existieren in Deutschland vier Recyclinganlagen, die unterschiedlich ausgelastet sind. Damit ist das Gipsrecycling auf gutem Wege. Der Input in die Recyclinganlagen sind unverändert Gipsplattenabfälle aus dem Rückbau, aus dem Neubau und der Renovierung, also Verschnittmaterial, sowie Produktionsausschuss. Aktuell beteiligt sich die deutsche Gipsindustrie aber auch an Forschungs- und Entwicklungsprojekten mit dem Ziel, Gips (zum Beispiel Putzgips und Estrich) aus anderen gipshaltigen Bauabfällen möglichst sortenrein zurückzugewinnen. Die Hauptaufgabe liegt hierbei in der Trennung des Gipses von anderen Komponenten in einer möglichst hohen Reinheit. Aber trotz aller Bemühungen gibt es immer noch einige Probleme und Hindernisse.

Welche Probleme sind das?

Es gibt im Wesentlichen drei Problemschwerpunkte: erstens die Qualität, zweitens die Diskussion um das Ende der Abfalleigenschaft und drittens kostengünstige, alternative Entsorgungswege.

Inwiefern ist die Qualität ein Problem?

In puncto Qualität stellen wir nach wie vor deutliche Schwankungen fest, je nach Herkunft. Während Verschnittmaterial und Produktionsausschuss naturgemäß keine oder nur geringe Verunreinigungen aufweisen, enthalten Gipsplattenabfälle aus dem Rückbau höhere Anteile an Störstoffen und Verunreinigungen im Spurenelementbereich. Weil das Problem schon länger besteht, wird der BV Gips seine bereits veröffentlichten umfangreichen Qualitätsvorgaben als Empfehlungen aktualisieren.

Was fordern Sie in diesen Empfehlungen?

Wir fordern unter anderem, dass der Recycling-Gips frei von Asbestverunreinigungen ist. Da es eine Nullkonzentration in der Natur nicht gibt, ist die Politik hier dringend gefordert, hinreichende Rechtssicherheit herzustellen und einen legal definierten Grenzwert festzulegen, bei dessen Unterschreitung von „Asbestfreiheit“ auszugehen ist. Gemeinsam mit unserem Dachverband, dem Bundesverband Baustoffe – Steine und Erden, sind wir hier bereits aktiv geworden. Ähnlich wie in den USA zeichnen sich Tendenzen ab, Gipsabfälle aus dem Rückbau auszuschließen, solange keine hinreichende Rechtssicherheit existiert.

Ihr zweiter Punkt ist das Ende der Abfalleigenschaft. Das ist eigentlich ein Punkt, der schon seit Jahren im Gespräch ist, oder?

Ja, in der Tat. Aber bis heute sind unsere zahlreichen Bemühungen auf Bundes- und Landesebene gescheitert, das Ende der Abfalleigenschaft für Recycling-Gips bundeseinheitlich festzulegen – und das obwohl dieser Gips die Qualitätsvorgaben des BV Gips einhält. Bei den bestehenden Recyclinganlagen konnte dies zwar im Rahmen der Genehmigungsverfahren erreicht werden. Allerdings ist diese Situation nicht zufriedenstellend. Hier ist man seitens des Bundesumweltministeriums und der Länderarbeitsgemeinschaft Abfall leider sehr zögerlich. Unklar ist zum Beispiel, ob dieses Thema zentral vom Bundesumweltministerium oder in den einzelnen Ländern zu regeln ist.

Bleibt noch das dritte Problem – das der alternativen Entsorgungswege…

… ja, und das ist kein kleines Problem. Denn entgegen der im Kreislaufwirtschaftsgesetz festgelegten „Abfallhierarchie“ mit der Priorisierung des Recyclings vor der sonstigen Verwertung oder Beseitigung gehen recycelbare Gipsplattenabfälle immer noch den Entsorgungsweg, der mit den geringsten Kosten verbunden ist. Dazu zählen Deponien in Deutschland genauso wie die fragwürdige Verwendung von Gipsplattenabfällen zur Sanierung von Uranschlammteichen in Tschechien. Entsprechende Aktivitäten des BV Gips auf deutscher Ebene und des europäischen Gipsverbandes Eurogypsum bei der Europäischen Kommission führten bisher leider nicht zum Erfolg.

Lohnt sich vor diesem Hintergrund das Gipsrecycling für die Betreiber von Aufbereitungsanlagen überhaupt? Was verdienen sie an einer Tonne recyceltem Material?

Mit steigenden Deponiepreisen und der zunehmenden Ablehnung von sonstigen „Verwertungsverfahren“ insbesondere im europäischen Ausland erzielen die Betreiber von Recyclinganlagen immer bessere wirtschaftliche Ergebnisse. Informationen zum Gewinn sind allerdings eine Angelegenheit der einzelnen Recycler, die nicht veröffentlicht werden.


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[su_spoiler title=“Welche Anlagen in Deutschland Gips recyceln“]

In Deutschland fallen 654.000 Tonnen Bauabfälle auf Gipsbasis an – Tendenz steigend. Etwa die Hälfte, gut 300.000 Tonnen, sind Gipsplattenabfälle. Ein Teil davon wird in vier Anlagen zu Recyclinggips aufbereitet. Die Anlagen sind unterschiedlich ausgelastet.

  • Die Firma Mitteldeutsche Umwelt- und Entsorgungsgesellschaft (MUEG) in Großpösna bei Leipzig kann bis zu 75.000 Tonnen gipshaltige Abfälle (vorrangig Gipskartonplatten) pro Jahr aufbereiten. Die Anlage läuft momentan im Ein- bis Zweischichtbetrieb.
  • Strabag Umwelttechnik im baden-württembergischen Laufen/Deißlingen ist in der Lage, bis zu 25.000 Tonnen Gipskartonplatten pro Jahr zu recyceln. Die Anlage ist zu einem Drittel ausgelastet. Davon stammt ungefähr die Hälfte der Mengen aus der Schweiz.
  • New West Gypsum Recycling kann in Pulheim bei Köln jährlich bis zu 90.000 Tonnen gipshaltige Abfälle (vorrangig Gipskartonplatten) pro Jahr aufbereiten und kooperiert mit der Firma Schulz Baustoffe. Die Anlage ist zu 25 bis 30 Prozent ausgelastet.
  • Remondis Südwest bereitet in seiner Anlage in Zweibrücken bis zu 72.000 Tonnen gipshaltige Abfälle pro Jahr auf.

Weitere Anlagen waren geplant, wurden aber bislang nicht realisiert. Im Jahr 2015 hatten die beiden norddeutschen Unternehmen Otto Dörner und Buhck angekündigt, eine Gips-Recycling-Anlage mit einer Kapazität von 30.000 Jahrestonnen errichten zu wollen. Die Beteiligten haben die Planung offenbar nicht weiter verfolgt. Zu einer weiteren Anlage, die die Firma Strabag Umwelttechnik mit dem Entsorger Tönsmeier in Hannover errichten will, gibt es keine aktuellen Informationen.

Europaweit wurden im Jahr 2016 rund 800.000 Tonnen Recycling-Gips verwendet, wie eine Umfrage von Eurogypsum bei seinen Mitgliedsverbänden ergeben hat. Vorreiter beim Gipsrecycling in Europa sind seit einigen Jahren Skandinavien und Großbritannien. In diesen Ländern werden für die Beseitigung recycelbarer Gipsabfälle hohe Deponiegebühren zuzüglich einer Deponiesteuer erhoben.

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Wie viele Gipsabfälle fallen pro Jahr generell in Deutschland an?

Laut Monitoringbericht 2017 der Kreislaufwirtschaft Bau fielen 2014 in Deutschland 654.000 Tonnen Bauabfälle auf Gipsbasis an. Davon, so die Schätzung des BV Gips, sind circa 50 Prozent recycelbar (Gipsplattenabfälle). Demgegenüber stehen rund 140.000 Tonnen Recycling-Gips, die tatsächlich in 2016 als sekundärer Rohstoff in der Gipsindustrie verwendet wurden. Wie aus den bisherigen Montoringberichten abgeleitet werden kann, wird die Menge an Bauabfällen auf Gipsbasis bis 2025 auf circa eine Million Tonnen pro Jahr steigen.

Vor dem Hintergrund der Energiewende wird REA-Gips aus den Rauchgasentschwefelungsanlagen der Kohlekraftwerke nicht mehr anfallen. Inwiefern macht sich das bereits bemerkbar?

Die saisonal teilweise zurückgehende Auslastung lokaler Kohlekraftwerke führt dazu, REA-Gips über längere Wege transportieren und/oder durch Naturgips ersetzen zu müssen. Lag die produzierte REA-Gipsmenge in den letzten 10 Jahren in Deutschland nahezu konstant bei jährlich etwa 7 Millionen Tonnen, so sank sie im Jahr 2016 auf 6,5 Millionen Tonnen mit weiter abnehmender Tendenz. Aber die deutsche Gipsindustrie beschäftigt sich spätestens seit Veröffentlichung des Energiekonzepts der Bundesregierung in 2010 mit der Entwicklung der Energieerzeugung und ihrer Auswirkung auf den Betrieb von Kohlekraftwerken sowie auf die Produktion von REA-Gips.


Abschätzung der REA-Gips-Entwicklung bis 2050:

Abschätzung der REA-Gips-Entwicklung bis 2050

Quelle: BV Gips

Wo gehen die REA-Gipse derzeit hin?

2016 wurden in Deutschland rund 6,5 Millionen Tonnen REA-Gips aus Braun- und Steinkohlekraftwerke produziert. Circa 1,53 Millionen Tonnen stammten aus Steinkohlekraftwerken und circa 4,95 Millionen Tonnen aus Braunkohlekraftwerken. Diese Menge wird in der gipsverarbeitenden Industrie, also vornehmlich in der Gips- und Zementindustrie in Deutschland, als sekundärer Rohstoff verwendet und ist für die deutsche Gipsindustrie mit rund 60 Prozent der wichtigste Rohstoff. Eine kleinere Teilmenge wird in das benachbarte europäische Ausland exportiert, wo keine Naturgipsvorkommen existieren.

Die recycelbaren Gipsplattenmengen nehmen zu, gleichzeitig sinken die REA-Gipsmengen. Eigentlich wären das gute Voraussetzungen, dass Gipshersteller mehr Recycling-Gips nachfragen.

Das ist im Prinzip richtig, aber das Angebot an Recycling-Gips wird die Lücke des REA-Gipses leider bei Weitem nicht füllen können. Wenn man sich beispielsweise das Szenario 2025 näher anschaut, werden circa 1 Million Tonnen Bauabfälle auf Gipsbasis anfallen, von denen geschätzt circa 500.000 Tonnen recycelbar sind. Im Vergleich dazu ist mit einem Rückgang des REA-Gipses auf jährlich 4 bis 4,5 Millionen Tonnen, also um 2 bis 2,5 Millionen Tonnen zu rechnen. Dieser Mengenrückgang entspricht dem Vier- bis Fünffachen des zur Verfügung stehenden Recycling-Gipses.

Gipshersteller berichten, dass Recycling-Gips in der Regel nur beigemischt werden kann. Wie groß ist der Aufwand für einen Gipsproduzenten, um Recycling-Gips einsetzen zu können?

Es stimmt: Die einzelnen Gipsplattenwerke, die Recycling-Gips einsetzen, tun dies im Gemisch mit REA-Gips oder Naturgips. Eine alleinige Verwendung von Recycling-Gips scheitert insbesondere an der Qualität und den Qualitätsschwankungen. Vor diesem Hintergrund müssen die Gipswerke in eine separate Recycling-Gips-Linie investieren, bestehend aus staubfreier Lagerung des Recycling-Gipses, Förder- und Dosieranlagen. Darüber hinaus sind umfassende Qualitätssicherungs- und Kontrollmaßnahmen erforderlich. Diese Investitionen liegen im höheren sechs- bis siebenstelligen Eurobereich je Gipswerk. Eine finanzielle Förderung seitens des Bundes zum Erreichen höherer Recyclingquoten und der damit verbundenen Steigerung der Ressourceneffizienz wäre sehr wünschenswert.

Wie groß ist der Anteil von Recycling-Gips in neuen Gipsprodukten in der Praxis?

In mehreren Großversuchen bei Knauf und anderen Unternehmen der Gipsindustrie konnte gezeigt werden, dass es kein Problem darstellt, 20 bis 30 Prozent Recycling-Gips in der Produktion neuer Gipskartonplatten einzusetzen, wenn die Qualität stimmt. Allerdings muss berücksichtigt werden, dass bestehende Rezepturen (etwa hinsichtlich der Additive) modifiziert werden müssen. Des Weiteren ist eine separate Recycling-Gips-Linie vonnöten. Unterm Strich könnte sich das aber künftig auszahlen, wenn die entsprechenden Prozesse etabliert sind und die Qualitätsvorgaben eingehalten werden. Hinsichtlich der Qualität hat sich im Übrigen gezeigt, dass der selektive Rückbau dem einfachen Abriss vorzuziehen ist.

Wie sinnvoll wäre vor diesem Hintergrund die Einführung einer Mindesteinsatzquote von Recycling-Gips?

Das würde keinen Sinn machen. Eine Mindesteinsatzquote von Recycling-Gips in neue Produkte ist vor dem geschilderten Hintergrund nicht zielführend und sollte auch nicht angestrebt werden, zumal Recycling-Gips in der Regel nur für die Produktion von Gipsplatten eignet ist.

 

© 320°/bs | 04.09.2018

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