Altablagerungen

Bei Zersetzungsprozessen auf Deponien entsteht Methan, das teilweise als Energiequelle genutzt wird. Wie Forscher herausgefunden haben, geht der Prozess aber langsamer vonstatten als erwartet. Mit einem Saugverfahren wollen sie den Organikabbau verbessern.

Saugverfahren macht Altdeponien zu Energiequellen


In Deutschland gibt es über 100.000 Altablagerungen und Altdeponien, von denen etwa 1.000 für eine energetische Nutzung infrage kommen. Nicht selten sind sie für die zuständigen Kommunen ein Kostenfaktor, denn sie sind bereits aus der 30-jährigen Nachsorgepflicht entlassen. Doch Bochumer Forscher sehen in dem alten Müll in einigen Fällen eine Energiequelle, die vermarktet werden sollte, um anfallende Folgekosten zu reduzieren.

Zwar vermarkten einige Kommunen bereits Strom aus Deponie-Methan, aber längst nicht alle. Zudem werden die meisten Altablagerungen unzureichend oder gar nicht genutzt, schildern Jürgen Kanitz von der Firma GGT und Frank Otto von der Technischen Hochschule Georg Agricola in Bochum.

„Im Rahmen aerober Stabilisierungsmaßnahmen haben wir festgestellt, dass bei größeren Deponien mit mehr als circa 500.000 Tonnen der Organikgehalt häufig wesentlich höher ist, als erwartet“, erklären sie. Eine reine aerobe Stabilisierung sei hier „wenig sinnvoll“. Daher schlagen sie eine aerob-anaerobe Stabilisierung des Deponats vor, die auf dem saugenden Belüftungsverfahren mit massiver Übersaugung basiert.

Dabei werden mittels tiefenzonaler Untersuchungen in vorhandenen Gasbrunnen oder beim Erbohren neuer Gasbrunnen stark organikhaltige Bereiche ermittelt und gezielt besaugt. In der Folge wird das organische Material kontrolliert zersetzt: Aerobe Bakterien produzieren dabei zunächst oberflächennah CO2 und Wärme. Anschließend können anaerobe Bakterien im so aufgewärmten Milieu Methan und CO2 erzeugen, das anschließend abgezogen werden kann.


[su_accordion]
[su_spoiler title=“Gasbildung in Deponien“] • Deponiegas ist ein energiereiches Gas, das bei der Verrottung von Abfällen unter Sauerstoffabschluss entsteht.

• Das Gas kann 50 bis 70 Prozent Methan (im Mittel 50 Prozent CH4) und 30 bis 50 Prozent Kohlendioxid (im Mittel 40 Prozent CO2) enthalten.

• Die stabile Methanphase im Deponiekörper wird in der Regel nach einem Jahr erreicht. In der Theorie kann dann die Gasnutzung beginnen.

• Nach etwa zwei Jahren liegt das Gas in der mittleren Zusammensetzung vor, die für einen Zeitraum von 20 bis 25 Jahren und mehr relativ stabil bleibt.

• Laut Bundeswirtschaftsministerium wurden im vergangenen Jahr 360 Gigawattstunden Strom (brutto) erzeugt und 128 Gigawattstunden Wärme aus Deponiegas genutzt.

• Strom aus Deponiegas wird gemäß EEG 2017, Paragraf 41 vergütet, bis einschließlich einer Leistung von 500 Kilowatt mit 8,17 Cent pro Kilowattstunde und bis einschließlich einer Leistung von 5 Megawatt mit 5,66 Cent pro Kilowattstunde.
[/su_spoiler]
[/su_accordion]


Den Vorteil gegenüber konventionellen Verfahren erläutert Jürgen Kanitz so: „Im Gegensatz zur klassischen Belüftung, bei der nur bedingt kontrolliert wird, wie viel Luft mit dem Deponat reagiert oder nicht, erfassen wir genau das Volumen und die Zusammensetzung des Deponiegases.“ Mit den Werten könne eine genaue quantitative Aussage über die umgesetzte Organik gemacht werden. Wie Chemiker Kanitz weiter ausführt, ist das Verfahren zudem dazu geeignet, undichte Bereiche und Leckagen bei Gasbrunnen gezielt aufzuspüren und zu beheben. Für neue Gasbrunnen könnten zudem die optimalen Deponatschichten ermittelt werden.

Beide sind ferner davon überzeugt, dass das Verfahren Kommunen künftig zusätzliche Gewinne bescheren kann. „Bis zu 25 Jahre dauert es, bis kein reaktionsfähiges, organisches Material mehr vorhanden ist. Dabei kann je nach eingebrachtem Material und der Vorgeschichte der jeweiligen Deponie 10 bis 15 Jahre mit energetisch nutzbarem Gas gerechnet werden“, sagt Frank Otto. Der Geotechnik-Ingenieur ergänzt: „In jedem dieser maximal 25 Jahre könnten bis zu 250.000 Euro Einnahmen durch den Verkauf von Strom erzielt werden. Die Wärmeleistung, die erzeugt wird, ist hier nicht einmal inbegriffen und käme noch on-top.“

Bis das Geld fließt, sind allerdings erst einmal Investitionen notwendig. Für eine Beispieldeponie in Bochum mit circa einer Millionen Tonnen Deponat rechnen die Forscher mit etwa 1,5 Millionen Euro. Die Amortisationsdauer läge also bei sechs bis acht Jahren. Für eine bislang ungenutzte Altablagerung/Altdeponie kalkulieren sie wie folgt:

  • Die Altablagerung sollte mindestens 500.000 Tonnen Müll mit mehr als 10 Prozent bioverfügbarer Organik enthalten (Voruntersuchung notwendig).
  • Für die Gasturbine mit 450 Kilowatt Leistung sind inklusive Anschluss circa 600.000 Euro fällig.
  • Hinzu kommen mehrere Bohrungen und der Einbau von Gasbrunnen sowie Kosten für Bauarbeiten (Verlegung von Rohren und Leitungen und so weiter), Wartung und Betreuung.
  • Eine zusätzliche Summe ist für die Messtechnik (Forschung) vorgesehen.

Bislang haben Frank Otto und Jürgen Kanitz eine Bohrung auf der Deponie in Bochum-Wattenscheid zu einem Gasbrunnen ausgebaut. Künftig sollen weitere sieben Bohrungen zu Gasbrunnen ausgebaut werden und zu wissenschaftlichen Zwecken 160 Messbohrungen mit insgesamt circa 1.600 Messstellen realisiert werden. „Damit wollen wir erstmals die Front zwischen aeroben und anaeroben Bakterien sowie deren Dynamik erforschen“, sagt Chemiker Kanitz.

Zudem sind beide in Gesprächen mit dem Umweltamt der Stadt Bochum hinsichtlich eines Konzepts zur Gasnutzung. Grundsätzlich steht das Verfahren aber allen Kommunen offen, betonen die Forscher.

Mehr zum Thema
So lassen sich Lederreste upcyceln
Recycling von Solarmodulen: Jetzt auch für Silber
KI sortiert Kunststoffe für Lebensmittel­verpackungen
Forscher entwickeln Lkw-Front, die Leben retten soll