Prognose bis 2050

Wie viele Siedlungsabfälle werden im Jahr 2050 in der Schweiz anfallen? Vermutlich deutlich mehr. Doch sicher ist das nicht. Denn es gibt einige Faktoren, die einen Rückgang des Aufkommens bewirken könnten.

Schweiz: Welche Einflussfaktoren das Siedlungsabfall-Aufkommen reduzieren


Es gibt manche Faktoren, die dafür sprechen, dass in der Schweiz im Jahr 2050 deutlich mehr Siedlungsabfälle anfallen werden. Dazu zählt, dass die Schweiz in gut drei Jahrzehnten deutlich mehr Einwohner zählen wird. Statt 8,2 Millionen Menschen (Stand 2015) werden es im Jahr 2050 voraussichtlich 10,3 Millionen sein, zeigte Holger Alwast vom Wirtschaftsforschungs- und Beratungsunternehmen Prognos gestern (5. Dezember) bei einer Tagung des Schweizer MVA-Betreiberverbands VBSA auf.

Hinzu kommt eine zunehmende Bruttowertschöpfung je Einwohner. „Lag diese im Jahr 2015 bei 76.300 Schweizer Franken (65.270 Euro), wird sie bis 2050 auf 104.500 Franken (89.393 Euro) steigen“, erklärte Alwast. Damit wird aller Voraussicht nach auch die Konsumfreude der Schweizer steigen. Zu den „siedlungsabfallrelevanten Konsumausgaben“ zählt Alwast in erster Linie Lebensmittel, daneben auch Bekleidung oder Wohnungseinrichtung.

Sollte diese Erwartungen eintreten und sich die sonstigen Rahmenbedingungen nicht ändern, würde das Aufkommen an Siedlungsabfällen von 6,03 Millionen Tonnen im Jahr 2015 auf 8,21 Millionen Tonnen im Jahr 2050 steigen, sagt Alwast voraus. Jeder Schweizer würde somit nicht mehr 700 Kilogramm pro Kopf, sondern knapp 800 Kilogramm erzeugen.

Lebensmittelvermeidung und Digitalisierung als Game-Changer

Doch es gibt auch einige Faktoren, die in die entgegengesetzte Richtung wirken könnten. Als größter Game-Changer könnte sich beispielsweise das 50-Prozent-Ziel der Schweiz bei der Vermeidung von Lebensmittelabfällen erweisen. Eine Intensivierung der Separaterfassung und Vermeidung von Lebensmittelabfällen könnte die für 2050 erwartete Gesamtabfallmenge deutlich reduzieren, erklärte Alwast.

Nach seiner Schätzung könnte dadurch das Gesamtaufkommen an Siedlungsabfällen von 8,21 auf 6,94 Millionen Tonnen sinken. Davon würden laut Prognos 4,02 Millionen Tonnen ins Recycling gehen und 2,92 Millionen Tonnen in die Verbrennung.

Zunehmende Digitalisierung

Auch die zunehmende Digitalisierung wird sich auf das Abfallaufkommen und die Abfallzusammensetzung auswirken. Dabei ist es laut Alwast keineswegs sicher, dass der zunehmende Einsatz von Elektro- und Elektronikgeräten sich auch in einem höheren Aufkommen an Altgeräten niederschlagen wird. „Es könnte auch sein, dass virtuelle Medien zunehmend die Hardware ersetzen“, gibt Alwast zu bedenken.

Sehr viel wahrscheinlicher ist hingegen, dass die zunehmende Digitalisierung das Aufkommen von Zeitungen und grafischen Papieren reduzieren wird. Hinzu kommt, dass durch einen anzunehmenden Wertewandel auch eine Reduzierung von Verpackungen durch Mehrweglösungen und Vermeidung möglich sein könnte. Gleichzeitig sei wegen des demografischen Faktors aber auch eine Zunahme an Hygieneprodukten vorstellbar, so Alwast.

Alles in allem geht der Prognos-Vertreter davon aus, dass das Aufkommen der PPK-Fraktion sinken und so die Gesamtabfallmenge von den erwarteten 8,21 auf 7,23 Millionen Tonnen schrumpfen wird. Für ein Recycling stehen demnach 3,4 Millionen Tonnen Siedlungsabfall zur Verfügung. In die Verbrennung gehen in diesem Szenario 3,83 Millionen Tonnen.


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[su_spoiler title=“Siedlungsabfälle in der Schweiz (2015):“]

  • Das Siedlungsabfallaufkommen lag im Jahr 2015 laut Prognos-Zahlen bei 6,03 Millionen Tonnen. Das Pro-Kopf-Aufkommen wird auf 724 Kilogramm beziffert.
  • Davon wurden 1,26 Millionen Tonnen kompostiert beziehungsweise vergärt.
  • 1,92 Millionen Tonnen Siedlungsabfälle wurden separat gesammelt und gingen ins Recycling. Der Hauptanteil entfiel mit 68 Prozent (1,31 Millionen Tonnen) auf die Fraktion Papier, Pappe und Karton (PPK). 19 Prozent (0,36 Millionen Tonnen) machte Glas aus und 7 Prozent (0,13 Millionen Tonnen) Elektro- und Elektronikaltgeräte.
  • An die Schweizer Müllverbrennungsanlagen (MVA) wurden 2,85 Millionen Tonnen nicht mehr verwertbare Siedlungsabfälle geliefert. Die kommunale Anlieferung hat sich auf 1,82 Millionen Tonnen (64 Prozent) belaufen. 1,03 Millionen Tonnen (36 Prozent) wurden direkt aus Gewerben angeliefert.
  • Verglichen mit der Kehrrichtanalyse des Schweizer Bundesamts für Umwelt (BAFU) für 2012 hat sich die Zusammensetzung des MVA-Inputs geändert. So hat der Anteil der PPK-Fraktion um einen Prozentpunkt auf 16,3 Prozent abgenommen.
  • Auch ist deutlich weniger Glas im Restmüll gelandet. Waren es 2012 noch 3,7 Prozent, lag der Anteil 2015 bei 1,5 Prozent.
  • Auch Kunststoffe und Aluminium wurden deutlich besser getrennt gesammelt. Kunststoffe haben sich von 13,2 Prozent auf etwa 11,6 Prozent reduziert, Aluminium von 1,1 Prozent auf 0,7 Prozent.
  • Nur der Anteil des Weißblechs ist größer geworden, und zwar deutlich. Lag der Anteil im Jahr 2012 bei lediglich 0,1 Prozent, waren es drei Jahre später 1,1 Prozent.

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Weniger Abfälle für thermische Verwertung?

Neben der Digitalisierung und der Vermeidung von Lebensmittelverschwendung gibt es noch weitere Einflussfaktoren, die Prognos in seiner Vorhersage berücksichtigt. Dazu zählen Sharing-Angebote und eine längere Nutzungsdauer sowie ein moderater Ausbau der Getrennterfassung. Sollten alle diese Trends und Entwicklungen eintreten, könnte sich im Jahr 2050 ein ganz anderes Szenario zeigen: Anstatt der Gesamtmenge an Siedlungsabfällen im Status-Quo-Szenario von 8,21 Millionen Tonnen, könnten es dann nur noch 5,84 Millionen Tonnen sein. Das wären sogar 0,18 Millionen Tonnen weniger als im Referenzjahr 2015.

Unter diesen Umständen würde die für ein Recycling zur Verfügung stehende Abfallmenge bis 2050 nicht um 1,15 Millionen Tonnen auf 4,33 Millionen Tonnen steigen, sondern nur um einige 100.000 Tonnen. Auf Verbrennerseite sieht das anders aus. Anstatt im Höchstfall 3,88 Millionen Tonnen Siedlungsabfälle zu verbrennen, könnten es auf einmal nur noch 2,19 bis 2,54 Millionen Tonnen sein. Das wären zwischen 310.000 und 660.000 Tonnen weniger als im Jahr 2015.

Gleichwohl könnten brennbare Baumischabfälle einen Großteil der mutmaßlich wegbrechenden Abfallmengen wieder wettmachen. Alwast geht davon aus, dass die Menge dieser Abfälle von 191.000 im Jahr 2015 auf 276.000 Tonnen im Jahr 2050 steigen wird. Auch der Schweizer Bundesrat erwartet, dass es in Zukunft zu keinem wesentlichen Rückgang der Abfallmengen in den Schweizer MVA kommen wird.

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