Stromgewinnung aus Müll

Mit der Versuchsanlage zur Müllverschwelung in Fürth waren Mitte der 80er Jahre hohe Erwartungen verknüpft. Doch die Technologie wurde schnell zu einem finanziellen Debakel für die Stadt. Über 20 Jahre lang stand die Anlage ungenutzt am Fürther Hafen. Nun wird sie abgerissen.

Schwelbrennanlage Fürth: Eine Chronologie des Scheiterns


Möglicherweise hätte man damals skeptisch sein sollen, doch das Angebot klang wohl zu verlockend. Aus Restmüll ausschließlich Strom gewinnen und dafür auch noch die Technologie von Siemens kostenfrei nutzen zu können – da sagte die Stadt Fürth nicht nein.

Begonnen hat alles 1985. Damals hatte Siemens seine neue Schwelbrenn-Technologie frisch im Programm. Die Technik versprach nichts weniger als die Erzeugung von Strom aus Restabfall. Siemens hatte die Technologie bislang nur in einer Versuchsanlage erprobt, wollte aber nun den nächsten Schritt gehen. Der Konzern bot der Stadt die kostenfreie Nutzung der Technologie an, im Gegenzug sollte die Stadt den Bau der Anlage übernehmen. Fürth sagte zu und die Planungen begannen.

Doch schon vor dem Bau der Anlage wurde öffentlicher Protest gegen die Anlage laut, da bei der Verschwelung hochgiftige Schwelgase entstehen. Zudem wurde die Verschwelung des Mülls als ökologisch nicht sinnvoll erachtet. Der Verein „Müll und Umwelt“ initiierte schließlich im Jahr 1993 ein Bürgerbegehren. Dieses begann vielversprechend, der darauffolgende Bürgerentscheid aber scheiterte knapp.

Pannenserie führt zur Stilllegung

Nach der Genehmigung durch die Regierung von Mittelfranken wurde im September 1994 mit dem Bau der Schwelbrennanlage begonnen. Die geplante Jahreskapazität lag bei 100.000 Tonnen Restmüll. Gut drei Jahre später nahm die Anlage den Probebetrieb auf.

Aber schon kurz nach der Inbetriebnahme traten zahlreiche technische Probleme auf. Materialstau, Softwareausfall und Schwelgasfreisetzung nach einer Bypass-Öffnung waren dabei noch vergleichsweise harmlose Störfälle. Im August 1998 kam es dann zum entscheidenden Störfall, der das endgültige Aus für die Anlage bedeutete.

Laut dem regionalen Online-Nachschlagewerk FürthWiki führte ein Metallgeflecht im Müll zu einem Materialstau. In der Folge sei eine Schweltrommeldichtung zerstört worden, so dass giftiges Schwelgas ausgetreten sei. Über 70 Personen in und in der Nähe der Anlage hätten über Augen- und Hautreizungen geklagt. Was folgte, war die Schließung der Schwelbrennanlage – nur ein Jahr nach ihrer Inbetriebnahme. Seither wird der Fürther Restmüll in der Nürnberger Müllverbrennungsanlage entsorgt.

Stadt Fürth hat Lehrgeld bezahlt

Das Schwelbrennverfahren besteht im Gegensatz zur Rostfeuerung, bei der die Abfälle auf einem Rost verbrannt werden, aus zwei Stufen. In einem Drehrohr werden die Abfälle zunächst einer Pyrolyse unterworfen. Die entstehenden Reststoffe, Pyrolysegas und Feststoffe, werden aufbereitet und dann in einer Schmelzkammer gemeinsam bei 1.300 °C verbrannt.

Mit der Anlage am Fürther Hafen wollte die Firma Siemens das von ihr entwickelte Schwel-Brenn-Verfahren erstmals im großtechnischen Maßstab verwirklichen. Bis dahin war die Technik nur in einer Pilotanlage in Ulm-Wiblingen erprobt worden. Doch das Pilotprojekt hat sich nicht nur technisch als völlig unausgereift entpuppt.

Für Fürth war es zudem eines der größten finanziellen Debakel in der Stadtgeschichte. Schon die Kosten für den Bau der Müll-Schwelbrennanlage sind völlig aus dem Ruder gelaufen. Am Anfang stand eine Schätzung von 32 Millionen Deutsche Mark (etwa 16 Millionen Euro) im Raum. Schlussendlich hat der Bau der Anlage bis zu ihrer Inbetriebnahme aber 125 Millionen Euro verschlungen, wie die „Fürther Nachrichten“ damals berichtet haben.

Aber auch der Ausstieg aus dem Projekt ist der Stadt teuer zu stehen gekommen. Als die Anlage endgültig außer Betrieb ging, musste die Stadt 8,8 Millionen Deutsche Mark (rund 4,4 Millionen Euro) an Siemens zahlen. Weitere 5 Millionen Deutsche Mark (2,5 Millionen Euro) musste der damals im Müllzweckverband angeschlossene Landkreis locker machen.

Im Juli 2019 ist die Schwelbrennanlage Geschichte

Siemens selbst wollte sich ebenfalls schnell aus der Affäre ziehen und suchte einen Käufer für den Gebäudekomplex. 1999 verkaufte der Konzern die Anlage an den Bauunternehmer Günther Karl. Dieser hat sie 2008 an die Max Aicher Unternehmensgruppe weiterverkauft. Aber auch dieser Eigentümer wusste offenbar nichts mit dem leerstehenden Gebäudekomplex anzufangen.

Im Juni dieses Jahres hatte die Unternehmensgruppe schließlich bekannt gegeben, dass das Gebäude abgerissen werden soll – nach über 20-jährigem Leerstand. Mit dem Abriss wurde der frühere Eigentümer der Anlage beauftragt, die Karl-Gruppe. Auf dem etwa 21.000 Quadratmeter großen Gelände soll ein neues Gewerbegebiet entstehen. Aktuell würden bereits Entkernungsarbeiten und Schadstoffsanierung als Vorbereitung für die anstehenden Abbrucharbeiten laufen.

Die Rückbauarbeiten werden gut ein Jahr in Anspruch nehmen, schätzt die Karl-Gruppe. In der Anlage seien zwischen 15.000 und 22.000 Tonnen Stahl verbaut, so dass mit schwerem Gerät angerückt werden müsse, um den Abriss zu stemmen. Dabei werden rund 235.000 Kubikmeter umbauter Raum abgebrochen, das höchste Gebäude misst 45 Meter. Die Arbeiten werden demnach voraussichtlich bis Juli 2019 andauern.

 

© 320° | 02.08.2018

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