Elektronikschrott

Smarte Textilien sind stark im Kommen. Experten prophezeien dieser Technologie einen großen Zukunftsmarkt. Am Ende des Produktlebens werden die Hightech-Kleidungsstücke zu Elektronikschrott. Doch an Recycling ist wohl kaum zu denken.

Smarte Textilien: Ein Fall für die Müllverbrennung


Smarte Textilien sind die neuen Stars der Modebranche. Intelligente Fasern und Hightech-Funktionen im Gewebe leuchten, leiten und heizen und verbinden sich mit unserem Smartphone. Sie können aber auch Vitalparameter wie Herz- und Atemfrequenz messen und Alarm schlagen, wenn etwas nicht stimmt. Noch steht dieser Trend am Anfang der Entwicklung. „Schlaue Stoffe“ werden aber von vielen Experten als großer Zukunftsmarkt gesehen.

„Getrieben durch Weltkonzerne wie Google, Apple, Microsoft & Co., die auf der Suche nach der nächsten Wearables-Generation Textil für sich entdeckt haben, formt sich derzeit ein Hype“, heißt es in einer Broschüre des deutschen Branchenverbands Textil+Mode zu Smart Textiles. Zudem ermöglichten Wearables, wie intelligente Kleidungsstücke auch genannt werden, eine neue Form der Mensch-Technik-Interaktion mit nahezu unendlichen Anwendungsmöglichkeiten.

Dementsprechend wird auch der Markt für smarte Textilien und Wearables wachsen. Noch ist der Markt vergleichsweise klein. In diesem Jahr werden nach Angaben des Gesamtverbands der deutschen Textil- und Modeindustrie weltweit 131,7 Millionen Wearables produziert. Bis 2021 soll die Menge aber auf 237,5 Millionen steigen.


Stichwort: Smarte Textilien

  • Textilien und Bekleidung mit integrierter Technologie ist kein neues Phänomen. Nach Angaben des Gesamtverbands Textil+Mode wird die Entwicklung sogenannter smarter Textilien schon gut anderthalb Jahrzehnte vorangetrieben.
  • Trotz des großen Potenzials, gerade auch im Bereich Kleidung, befinden sich Wearables und „smart textiles“ aber noch immer in der Frühphase. Den Grund dafür sieht der Branchenverband darin, dass die unterschiedlichsten Akteure aus Wirtschaft und Wissenschaft kooperieren müssen, um neue Ideen erfolgreich umzusetzen und an den Markt zu bringen.
  • Als Wearables bezeichnet man elektronische Technologien und Computer, die in Kleidungsstücken oder Accessoires eingearbeitet sind und am Körper getragen werden können. Sie sind unter anderem direkt mit dem Internet verbunden und sind somit in der Lage Daten auszutauschen.
  • Die erste intelligente Jacke hat Google gemeinsam mit Levi`s im vergangenen Jahr auf den Markt gebracht. Mit der smarten Jeansjacke lässt sich ein Smartphone bedienen und soll sich besonders für Fußgänger und Radfahrer im Stadtverkehr eignen, die keine Hand frei haben. Die „Levi’s Commuter x Jacquard by Google Trucker Jacket“ verfügt über einen Touch-Ärmel: Streicht der Träger über den linken Jackenarm, kann er darüber bestimmte Befehle auf dem Smartphone ausführen, etwa zum nächsten Lied wechseln oder einen Anruf annehmen beziehungsweise abweisen. Damit das technisch funktioniert, wurden in den Ärmel leitende Fasern eingezogen. Die Anbindung an das Smartphone erfolgt laut Hersteller über einen Bluetooth-Adapter in Höhe des Handgelenks.
  • Die „schlauen“ Fasern und Stoffe werden dabei aber nicht nur die Textil- und Modebranche revolutionieren. Smarte Textilien kommen zunehmend auch in Fahrzeugen, sicherheitsrelevanten Bauteilen und in der Medizintechnik zum Einsatz. Oder auch in der Altenpflege. Als Beispiele dienen intelligente Kleidung, die den Ernährungszustand und den Wasserhaushalt älterer Menschen ständig überwacht oder ein sensorbestückter Teppich, der anzeigt, dass jemand gestürzt ist und Hilfe braucht.

Herausforderungen für Textilhersteller

Wearables sind in den Augen des Verbands Textil+Mode zwar eine „aussichtsreiche und vielversprechende Technologie, die in einer zunehmend vernetzten Welt eine immer größere Rolle spielen wird“. Diese smarten Textilien werden für verschiedene Akteure der Wertschöpfungskette aber auch zu einer Herausforderung werden.

Da wären die Textilhersteller selbst. Das fängt bei der e-textilen Forschung schon an. „Zwar lassen sich elektronische Komponenten mittlerweile gut ins Textil bringen, aber selbst einfachste technische Applikationen wie Heizen oder Leuchten stellen Designer vor enorme Herausforderungen“, wie Jan Zimmermann, Leiter des Bereichs Textile Innovations beim Stickereiunternehmen Forster Rohner, erklärt.

Der Grund: Am Ende eines kosten- und zeitintensiven Entwicklungsprozesses warte auch bei textilen Wearables oft die Waschmaschine, die ihnen gleich beim ersten Waschgang das (Lebens)Licht auslöschen kann. „Das ist eine echte Forschungsherausforderung“, so Zimmermann. Aber auch außerhalb der Waschmaschine müsse die Technik selbst bei intensiver Nutzung funktionsfähig bleiben.

ElektroG spielt plötzlich große Rolle

Bei der Herstellung müssen zudem alle Qualitätsstandards, Normierungs- und Zertifizierungsfragen zweier Welten eingehalten werden: Textil und Elektronik. Die deutschen Textil- und Modeunternehmen müssen sich daher auch mit dem Elektro- und Elektronikgerätegesetz (ElektroG) auseinandersetzen.

Bislang spielte das ElektroG in der Modewelt nur eine untergeordnete Rolle. Denn die meisten Textil- und Modeprodukte, selbst wenn sie mit elektronischen Komponenten ausgestattet waren, fielen nicht in den Anwendungsbereich des Gesetzes. Das ist seit dem 15. August dieses Jahres anders. An diesem Tag ist der Open Scope des ElektroG in Kraft getreten

Somit fällt nun jedes Produkt in den Anwendungsbereich des ElektroG, das zum ordnungsgemäßen Betrieb elektrische Ströme beziehungsweise elektromagnetische Felder benötigt – es sei denn, es ist explizit vom Anwendungsbereich ausgeschlossen. „Werden zum Beispiel elektronische Komponenten wie LED oder Heizpads in Jacken oder Schuhen verbaut, so kann nunmehr das ganze Produkt zu einem Elektrogerät im Sinne des ElektroG werden“, verdeutlicht Petra Diroll, beim Gesamtverband Textil+Mode zuständig für den Bereich Politik und Kommunikation.

Herausforderungen für Erstbehandler

Auf die Recyclingwirtschaft kommt somit die Frage zu, wie sie mit Wearables und smarten Textilien umgehen werden. Denn dank des Open Scope des ElektroG müssen Textilien, die Elektronik enthalten, formal als Elektronikschrott gesammelt werden.

Die Erstbehandler dürften darüber nicht erfreut sein. Denn ihre Prozesse und ihr Geschäftsmodell sind darauf ausgerichtet, Metalle und Kunststoffe zurückzugewinnen. „Textilien sind ein Mengenstrom, mit dem sie bislang nicht sinnvoll umgehen können“, meint Karsten Schischke vom Fraunhofer-Institut für Zuverlässigkeit und Mikrointegration (IZM) hin.

Das Fraunhofer IZM beschäftigt sich bereits seit über zehn Jahren mit der Entwicklung und Untersuchung von textilbasierten elektronischen Systemen. „Am Institut machen wir uns aber auch schon seit einer Weile Gedanken dazu, wie smarte Textilien zu gestalten sind, damit ein Recycling zumindest potenziell ermöglicht wird“, erläutert Schischke, der den Institutsbereich Environmental and Reliability Engineering leitet.

Spezifische Lösungen für E-Textilien nötig?

In naher Zukunft dürfte das Recycling smarter Textilien erst einmal keine Rolle spielen. So geht Schischke davon aus, dass die Mengen an Textilelektronik, die beim Erstbehandler als Elektronikschrott ankommen, auf absehbare Zeit nur gering sein werden. „Damit haben die Erstbehandler zwar einen ärgerlichen Mengenstrom, der aber so gering ist, dass sie sich nicht um eine spezifische Lösung kümmern werden“, vermutet der Fraunhofer-Experte.

Aus heutiger Sicht scheint zweifelhaft, ob der Erstbehandler die Elektronik vorher entnehmen wird. „Wahrscheinlich nur bei den einfachen, offensichtlichen Fällen“, vermutet Schischke. „Allein schon der blinkende Turnschuh ist wahrscheinlich zu komplex.“ Von daher ist davon auszugehen, dass die Textilien zusammen mit Kunststoffgemischen in einer nicht recycelbaren Fraktion landen werden – und dann wahrscheinlich in die thermische Verwertung gelangen.

Ob sich daran etwas ändern wird, ist fraglich. Das Recycling höherwertiger smarter Textilien werde davon abhängen, wie viel an Elektronik und Metall tatsächlich enthalten sei, so Schischke. „Bei den meisten Anwendungen wird es sich ökonomisch nicht lohnen, die Elektronik zu separieren.“

320°/re

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