Untersuchung zum Energiebedarf

Eine Studie warnt: Deutschland muss erheblich mehr Ökostrom produzieren als bislang, um das Pariser Klimaschutzabkommen einzuhalten. Die Studie ist eine Absage an die Novelle des EEG und die vorgesehenen Zubaukorridore.

Studie: Deutschland benötigt 100 Prozent erneuerbare Energien


Um die Vorgaben des Pariser Klimaabkommens einzuhalten, muss Deutschland erheblich mehr Ökostrom produzieren als bislang geplant. Das zeigt eine neue Studie der Berliner Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW Berlin), die erstmals neben dem Stromsektor auch den Energiebedarf von Verkehr, Wärmeversorgung und Industrie einrechnete. Demnach braucht Deutschland spätestens im Jahr 2040 jährlich 1.320 Terawattstunden an erneuerbarem Strom. Das ist mehr als doppelt so viel wie heute.

Der deutlich höhere Strombedarf entsteht gemäß Studie, weil auch Verkehr, Wärme und Industrie zum Erreichen der Klimaschutzziele in Deutschland von fossilen Energieträgern auf erneuerbaren Strom umschwenken müssen. „Mit den geringen Zubaukorridoren des Erneuerbare-Energien-Gesetzes ist ein Einhalten der Paris-Ziele praktisch unmöglich. Entweder fehlt den politisch Verantwortlichen der nötige Sachverstand oder sie beabsichtigen das Klimaschutzabkommen gar nicht einzuhalten“, urteilte Studienleiter Professor Volker Quaschning bei der Präsentation in Berlin.

Klimapolitische Schizophrenie

Das EEG 2016 geht am Dienstag in die parlamentarische Beratung. Bereits an diesem Montag wird Bundesumweltministerin Barbara Hendricks sich bei einem EU-Treffen für die Ratifizierung des Pariser Klimaabkommens stark machen. „Binnen einer Woche treibt die Bundesregierung zwei verbindliche Rechtsakte voran, die sich inhaltlich komplett widersprechen“, kritisierte Marcel Keiffenheim, Leiter Politik und Kommunikation von Greenpeace Energy, „das ist klimapolitische Schizophrenie“.

„Wir müssen die Wind- und Solarenergie drei bis sechs Mal schneller ausbauen als von der Bundesregierung geplant“, präzisierte Quaschning die Ergebnisse seiner Forschungsgruppe Solarspeichersysteme an der HTW Berlin: Die Onshore-Windkraft müsse pro Jahr um 6,3 Gigawatt netto ausgebaut werden statt um 2,8 GW brutto, wie im EEG 2016 anvisiert. Bei der Photovoltaik seien jährlich sogar 15 GW erforderlich statt der im EEG vorgesehen 2,5 GW.

Ausstieg aus der Kohle bis 2030

Neben ambitionierten Effizienzzielen zur Reduktion des Energieverbrauchs für alle Wirtschaftsbereiche und Privathaushalte listen die Experten detaillierte Maßnahmen auf, die Deutschland ergreifen müsse, um seinen Beitrag zur Begrenzung des globalen Temperaturanstiegs auf 1,5 Grad Celsius zu leisten. So empfehlen sie bei der Wärmeversorgung einen zeitnahen Umstieg von Öl- und Gasheizungen sowie KWK-Anlagen auf effiziente Wärmepumpen. Erforderlich sei zudem ein rascher Abschied von fossilen Treibstoffen im Verkehrssektor, der 2040 fast vollständig elektrifiziert sein müsse. „Möglichst ab 2025 sollten in Deutschland deshalb keine Neufahrzeuge mit Verbrennungsmotoren mehr zugelassen werden“, erläuterte Quaschning.


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Notwendig ist der Studie zufolge auch ein Ausstieg aus der Kohle bis zum Jahr 2030, da sie für den Großteil der CO2-Emissionen aus der Energiewirtschaft verantwortlich ist. „Um ohne Kohlestrom die nötige Versorgungssicherheit zu gewährleisten, brauchen wir Langzeitspeicher für erneuerbare Energien“, sagte Keiffenheim. „Dieses wichtige Thema ignoriert die Bundesregierung im EEG 2016 aber komplett.“

Die erforderliche Speicherkapazität, um in einem Energiesystem mit 100 Prozent Erneuerbaren auch längere Flauten und sonnenarme Phasen zu überbrücken, bietet laut Studie nur Power-to-Gas. Dabei werden aus überschüssigem Wind- und Solarstrom Wasserstoff und Methan erzeugt. Die im vorhandenen Gasnetz speicherbaren Windgas-Mengen reichen aus, um die Stromversorgung für bis zu drei Monate zu sichern.

„Um den von Professor Quaschnings Team ermittelten Energiebedarf durch erneuerbare Speicher abzusichern, brauchen wir bis 2040 eine Elektrolyseurleistung von mindestens 80 Gigawatt, um den nötigen Wasserstoff zu erzeugen“, sagte Keiffenheim. „Für einen wirksamen Klimaschutz müssen wir jetzt damit beginnen, diese Kapazitäten aufzubauen.“

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