Interview mit Patrick Hasenkamp

Die Forderung nach kommunaler Organisationsverantwortung im Zuge des Wertstoffgesetzes stößt auf europarechtliche Bedenken. Zu Unrecht, wie VKU-Vizepräsident Patrick Hasenkamp meint. Er erklärt im Interview mit 320°, wie ein europarechtlich konformes Modell aussehen könnte – und an welcher Stelle die Kommunen noch Nachholbedarf in puncto Recycling haben.

„Und ein solches Modell soll bei uns nicht funktionieren?“


Der politische Kompromiss zum geplanten Wertstoffgesetz stellt die kommunale Entsorgungswirtschaft nicht zufrieden: Sie lehnt das Eckpunktepapier von CDU und SPD ab und beansprucht unverändert die Organisationshoheit für die Sammlung von Verpackungen und Nichtverpackungen aus privaten Haushalten. Das Bundesumweltministerium weist jedoch einen Systemwechsel bei der Erfassung mit Verweis auf die Koalitionsvereinbarung und rechtliche Bedenken zurück. Für September hat das Ministerium einen ersten Entwurf für das Wertstoffgesetz angekündigt.

Herr Hasenkamp, die Koalitionspartner sind den Kommunen bei der Kompromisssuche zum Wertstoffgesetz weit entgegengekommen. Dennoch hat sich die kommunale Seite klar gegen das Eckpunktepapier zum Wertstoffgesetz ausgesprochen. Gibt es denn keine Punkte im Eckpunktepapier, mit denen Sie zufrieden sind?

VKU
VKU

Leider nein. Auch wenn wir es gerne wären. Aber dafür sind die Eckpunkte einfach nicht konkret genug und zudem überfrachtet mit juristisch unbestimmten Begriffen. Mit diesem Eckpunktepapier werden die Konflikte, die viele Gebietskörperschaften bereits heute aufgrund unklarer Mitbenutzungsregelungen für die PPK-Systeme oder aufgrund der Abstimmungsprobleme zum Thema Wertstofftonne mit dualen Systembetreibern austragen müssen, perpetuiert. Wir würden mit der Umsetzung dieser Eckpunkte nicht die dringend erforderlichen klaren Regelungen innerhalb einer Wertstoffgesetzgebung haben, die nicht zuletzt vom Urteil des Bundesverwaltungsgerichtes im März dieses Jahres eingefordert worden sind. Damit können wir einfach nicht zufrieden sein.

Das Bundesumweltministerium weist darauf hin, dass die Koalitionsvereinbarung kein anderes Modell zulässt. In der Vereinbarung heißt es, dass die rechtlichen Grundlagen zur Einführung der gemeinsamen haushaltsnahen Wertstofferfassung für Verpackungen und andere Wertstoffe geschaffen werden sollen. Dabei sollen anspruchsvolle Recyclingquoten, Wettbewerb und Produktverantwortung als Eckpunkte einer modernen Kreislaufwirtschaft gefestigt werden.

Ja, das ist richtig. Aber das wäre wohl das erste Mal, dass eine Koalition eine Koalitionsvereinbarung so stringent auslegt, wie es das Bundesumweltministerium auf der Arbeitsebene derzeit tut. Der Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD erwähnt zwar die kommunale Sammelverantwortung für Wertstoffe nicht, schließt sie aber auch nicht ausdrücklich aus! Aus unserer Sicht kann man wettbewerbliche Strukturen auch unter einer kommunalen Sammelverantwortung verankern. Nämlich dann, wenn der Wettbewerb über eine Zentrale Stelle und basierend auf dem öffentlichen Vergaberecht ermöglicht wird. Unter diesen Umständen dürfte dann auch das Bundeskartellamt zufrieden sein. Insofern ist der Raum gegeben, mit mehreren Marktbeteiligten die Verpackungsentsorgung zu regeln. Das ist nicht zwingend an die dualen Systeme gebunden.

Das Bundesumweltministerium macht aber auch rechtliche Bedenken geltend.

Wir hören immer wieder, dass im Bundesumweltministerium europarechtliche Bedenken geäußert werden. Es dürfe keinen Vorzug für eine kommunale Sammlung geben, heißt es. Aber das verkennt, dass es andere Länder gibt, wo durchaus ein alternatives Modell praktiziert wird. Und zwar, ohne dass es zu einem Konflikt mit dem Europarecht kommt.

An welches Land denken Sie?

An Belgien beispielweise. In Brüssel ist ein System installiert, das sehr wohl auch von der Europäischen Kommission wertgeschätzt wird. Dort ist mit dem dualen System Fost plus eine klare Regelung zustande gekommen, die zwischen den kommunalen Aufgaben der Erfassung und einer Verwertung durch den Entsorgungsmarkt unterscheidet. Bei diesem Modell hat das duale System keinen dauerhaften Bestand, sondern muss sich alle 5 Jahre über eine Zentrale Stelle neu akkreditieren lassen. In dieser Zentralen Stelle sitzen neben den Inverkehrbringern auch die Gebietskörperschaften, die in einem Pflichtenheft abstimmen, wie die Verpackungsentsorgung in den nächsten 5 Jahren in Belgien organisiert sein soll. Dafür kann sich dann ein Systembetreiber bewerben. Das betreffende duale System ist dann verpflichtet, die Sammelleistung der Kommunen zu vergüten und die Ausschreibungen für die Entsorgungswirtschaft durchzuführen. Das ist genau das Modell, das wir fordern. Das ist ein System, das europarechtlich problemlos funktioniert. Und ein solches Modell soll ausgerechnet bei uns nicht funktionieren?

Ein solches Modell hätte aber nur dann eine Chance, wenn Sie im weiteren Gesetzgebungsverfahren den Bundestag und Bundesrat überzeugen können. In welchem der beiden Organe werden Sie die kommunalen Kräfte am stärksten mobilisieren können?

Wir setzen auf beide. Wir sehen bereits in der aktuellen Entwicklung, dass sich die Bundesländer hierzu Gedanken machen. Das sieht man auch an der Initiative von Baden-Württemberg, die von den Umweltministern aus acht Bundesländern mitgetragen wird. Als „Last Call“ ist sicher auch eine Koalitionsmöglichkeit auf Ebene des Bundesrates möglich.

Der Bundesrat hat schon Anfang Juni über einen Antrag zur Übertragung der Organisationsverantwortung auf die Kommunen abgestimmt. Damals kam keine Mehrheit zustande.

Das ist der Stand Anfang Juni, richtig. Aber der Stand heute ist noch nicht der Stand, den wir wie vom BMUB angekündigt im September 2015 haben werden, wenn wir einen konkreten Entwurf zum Wertstoffgesetz vorliegen haben. Denn dann werden wir die Positionen der kommunalen Spitzenverbände synchronisieren und dann werden wir sehen, welches Ergebnis die Abstimmung im Bundesrat bringen wird.

Wie wollen die Kommunen überzeugend für mehr Recycling werben, wenn sich zugleich fast alle Kommunen weigern, in Ausschreibungen den Einsatz von Recyclingmaterialien vorzugeben? Und das, obwohl es fast alle Ländergesetze vorschreiben?

Da gibt es in der Tat noch einiges zu tun. Als Vertreter eines Abfallwirtschaftsunternehmens sehe ich mit sehr großer Skepsis, dass Neumaterial noch in vielen Fällen den Vorzug gegenüber Recyklaten erhält. Da müssen wir unsere Städte und Gemeinden in die Pflicht nehmen, auch hier ihre Vorreiterrolle ernst zu nehmen. In vielen Bereichen lassen sich in der Tat sehr viel mehr Recyclingmaterialien einsetzen, als das heute der Fall ist. Insofern überlegen wir, ob wir gemeinsam mit dem Bundesumweltministerium einen Handlungsleitfaden für kommunale Ausschreibung entwickeln. Das würde sicherlich helfen.

Mehr zum Thema
Recycelbar und kompostierbar: Chipstüte aus Papier
Die neue Abfall­­­verbringungsverordnung kann kommen
KI sortiert Kunststoffe für Lebensmittel­verpackungen
Verpackungsmüll: Warum bayerische Kommunen weiterhin auf das Bringsystem setzen
Zu viel Bürokratie: „Das macht manche Firmen verrückt“
So sollen die To-go-Mehrwegangebote endlich wirken
Regierung in Sachsen beschließt Förderung der Kreislaufwirtschaft
Videoüberwachung an Containern ist „schwieriges Thema“
Wertstofftonne: Karlsruher hadern mit privatem Entsorger
EU-Länder unterstützen Verpackungs­verordnung
„Das größte Bürokratie­entlastungspaket, das es je gab“
Videoüberwachung an Containerstellplätzen?