Entsorgung per Vakuum

Seit vielen Jahren arbeitet Envac an einer automatisierten Abfallsammlung. Die Sammlung hat einige Vorteile. Doch welche Voraussetzungen müssen für ein Unterflursystem vorliegen? Und wann lohnt sich die Installation? Antworten gibt es hier.

Unter welchen Voraussetzungen sich eine Unterflursammlung lohnt


Am frühen Morgen fährt ein orange lackierter Truck vor, zwei Männer springen ab, ziehen Tonnen zum Fahrzeug und kippen den Inhalt ins Sammelfahrzeug. So funktioniert die Abfallsammlung in Deutschland. Das wirkt fast ein wenig anachronistisch. Denn abgesehen von der Motorisierung und dem Pressaufsatz unterscheidet sich das Mülleinsammeln kaum von den Müllkutschen des frühen 20. Jahrhunderts.

Ganz ohne Fahrzeuge, Müllwerker oder Tonnenstellplätze kommt dagegen das pneumatische Abfallsammelsystem von Envac aus. Der schwedische Technologieanbieter tüftelt seit mehr als 50 Jahren an dieser Art „Müll-Rohrpost“. Dabei wird der Abfall über der Erde in einen Schacht eingeworfen und dann unterirdisch durch Rohre zu einer Sammelstation transportiert – per Unterdruck und mit bis zu 80 Stundenkilometern. Dort landet der Abfall in Containern und geht anschließend per Lkw zur Verwertungsanlage.

Damit verbunden sind einige Vorteile. Envac verspricht weniger Lärm, keine Geruchsbelästigung, kaum Littering und geringere Betriebs- und Wartungskosten gegenüber dem konventionellen System. Aber unter welchen Voraussetzungen ist eine Installation überhaupt sinnvoll? Lohnt sich die Unterflursammlung wirtschaftlich? Und wie sieht es mit der Fehlwurfquote aus? Antworten auf diese und andere Fragen finden Sie im Folgenden:

Das müssen Kommunen im Vorfeld klären

Grundsätzlich eignet sich das System für geplante oder bestehende Wohnbausiedlungen mit mindestens 50 und bis zu 10.000 Haushalten. Wie Envac-Vertriebsleiter Victor Palmér betont, können aber auch Geschäfts- und Bürogebäude sowie öffentliche Gebäude, etwa Schulen oder Krankenhäuser, angeschlossen werden. „Eher ungeeignet sind aus unserer Erfahrung Stadtteile, die überwiegend von Villen oder Reihenhäuser geprägt sind“, so Pálmer. Der Invest für die Einzel-Eigentümer sei dafür zu hoch.

Wichtig ist, dass ein ausreichend großer Platz für die Sammelstation vorhanden ist. Envac geht davon aus, dass pro 10.000 Haushalte eine solche Station notwendig ist. Diese beherbergt Abroll- oder Absetzcontainer à 28 Kubikmeter für die verschiedenen Fraktionen. Fehlt der Platz, kann das System mit Bunkern umgesetzt werden, die ein bis zehn Kubikmeter Volumen fassen. Zusätzlich ist dann ein Saugfahrzeug notwendig, um die Bunker zu entleeren. In den Wohnvierteln selbst muss zudem je 50 Haushalte ein Einwurfplatz errichtet werden.

Darüber hinaus müssen die Kommunen klären, welchen Abfallstrom sie mit dem System sammeln wollen. Envac installiert seine Anlage für drei oder vier verschiedene Abfallfraktionen, meist Papier, organische Abfälle und Restmüll. Abfälle wie Altglas, Alttextilien, Leichtverpackungen oder Sperrmüll, Pappe und Bioabfälle und Industrieabfälle sind ebenfalls möglich. „In der norwegischen Stadt Bergen sammeln wir mit der Anlage jeglichen Abfall, außer Altmetalle und Altglas“, sagt Pálmer.

Und schließlich muss Verantwortlichen klar sein, dass für die Unterflursammlung ein kilometerlanges Netz von Rohren unter öffentlichen Straßen geplant und verlegt werden muss. Die Rohre haben einen Durchmesser von 35 bis 60 Zentimetern und werden bis zu einem Meter unter Straßenniveau vergraben. Je nach Ausführung werden mehrere parallele Rohre verlegt, um die einzelnen Abfallarten getrennt zu halten. Alternativ bietet Envac ein einspuriges System an.


Envac-Röhrensystem für drei verschiedene Abfallfraktionen:

Foto: Envac

Der Installations- und Kostenaufwand

Die Installation dauert je nach Länge und Setup des Systems unterschiedlich lang. „Das Rohrnetz für ein neues Stadtviertel ist etwa in einem Jahr verlegt“, sagt Envac-Vertriebsleiter Pálmer. „Soll eine komplette Stadt, etwa München, angeschlossen werden, müssen sie mit 15 bis 30 Jahren rechnen.“ Für den Bau der Sammelstation inklusive Kontrollzentrum und einem Modul, das Unterdruck sowie Überdruck erzeugt, kalkuliert Pálmer etwa drei Monate. Die Errichtung eines Einwurfplatzes für vier Abfallfraktionen steht mit ungefähr einer Woche im Plan.

Wie viel das System schlussendlich kostet, lässt sich dem Envac-Vertriebsleiter zufolge schwer sagen: „Wir rechnen in einem Neubaugebiet mit etwa 1.000 bis 1.500 Euro pro Wohneinheit. Hinzu kommen noch die Kosten für Bau- und Grundstücksarbeiten“. Allein pro Meter Rohr plane das Unternehmen mit Kosten von 200 Euro.

Trotz der hohen Anschaffungskosten amortisiert sich eine Anlage nach 10 bis 15 Jahren, verspricht das Unternehmen – im schlechtesten Fall also nach einem Viertel der angestrebten Laufzeit. Entsorgungsbetriebe benötigten zudem weniger Abfallsammelfahrzeuge und kaum Bedienpersonal. „Die Betriebs- und Wartungskosten liegen bei 15 bis 20 Euro pro Wohneinheit. Das sind pro Jahr weniger als Prozent der Investitionssumme“, so Pálmer. Und auch die Haushalte profitierten. So seien die Entsorgungsgebühren gegenüber dem konventionellen System niedriger.

Letztendlich hängt die Wirtschaftlichkeit des Systems aber von den kommunalen Gegebenheiten ab. „Trotz Untergrundsammlung muss der Abfall abgefahren werden, Fahrzeuge werden sie also nach wie vor brauchen“, sagt Volker Fennemann, zuständig für Umwelt und Ressourcenlogistik beim Fraunhofer-Institut für Materialfluss und Logistik (IML). Darüber hinaus sei Druckluft nicht gerade ein billiger Energieträger. Außerdem gibt Fennemann zu Bedenken, dass Kommunen an den Wartungsservice des Unternehmens gebunden sind.

So sieht es mit der Wirtschaftlichkeit aus

Neben den geringeren Kosten sehen die Schweden weitere Vorteile: So könnten der Verkehr und damit die CO2-Belastung in den Wohnvierteln um bis zu 90 Prozent reduziert werden. Zudem sei es ruhiger. Des Weiteren verbessere sich Hygiene. „Es gibt keine Geruchsbelästigung, kein Rattenproblem und kaum Littering“, sagt Victor Pálmer.

Unterm Strich muss sich die pneumatische Abfallsammlung aber daran messen lassen, ob der Müll effizient sortiert wird und damit recycelt werden kann. Was die Sortierung betrifft, ist die Fehlwurfquote eine gute Kennzahl. „Wir kämpfen wie andere Abfallsammelsysteme auch mit Fehlwürfen. Die Quote liegt ungefähr bei 10 Prozent“, sagt Envac-Vertriebsleiter Pálmer dazu.

Volker Fennemann vom Fraunhofer IML sieht die Zahl kritisch: „Wir wissen, dass die Fehlwurfquote abhängig von der Einstellung zur Mülltrennung und sozialer Kontrolle ist.“ Beides sei in anonymen Großstadtsiedlungen geringer ausgeprägt. „Menschen, die ein neues, teures Apartment beziehen und noch dazu ökologisch orientiert sind, trennen eher besser.“

Noch kein Envac-System in Deutschland

Inzwischen hat Envac nach eigenen Angaben über 1.000 Systeme weltweit installiert – von Sevilla über London, Kopenhagen bis nach Dubai oder Peking. Nur in Deutschland gibt es kein einziges.

Dabei war Bundesrepublik einmal Vorreiter in Sachen unterirdische Abfallsammlung. Die Urform des heutigen Envac-Systems wurde 1972 im Olympiadorf in München in Betrieb genommen. Das erste System überhaupt war fünf Jahre zuvor im Sollefteå Hospital in Stockholm in Betrieb gegangen, wo es heute noch läuft.

Die Anlage in München mit einem drei Kilometer langen Rohrnetz wird aktuell stillgelegt. Ursachen sind Schäden, die Möglichkeit von Fehleinwürfen und die fehlende Betriebssicherheit, wie es heißt. Weitere Anlagen liefen etwa in Bonn-Tannenbusch (von 1973 bis 2010) und in Heidelberg-Emmertsgrund – dort von 1973 bis 2004. Umstellungen in der Abfall- und Wertstofferfassung sowie größere Schäden der Rohre und technische Störungen bedeuteten in beiden Fällen das Aus.

Ob es demnächst eine neue Envac-Anlage in Deutschland geben wird, ist offen. Wenn, dann dürfte sie sich wesentlich von den damaligen Anlagen unterscheiden. State-of-the-art ist ein einspuriges System plus sogenannte Optibags. In diesen Farbsäcken – Blau für Zeitungen, Grau für Metalle, Rot für Kunststoffe, Gelb für Pappe und andere Papiere und Grün für Bioabfall – wird der Müll gesammelt. Die Säcke werden anschließend in einen einzigen Einwurfschacht geschmissen, über ein Rohr zur Sammelstation verbracht und in einer extra errichteten Sortieranlage separiert. Etwa 94 Kommunen und Gemeinden in Schweden und Norwegen sammeln so ihren Abfall. Laut Envac liegt die Fehlwurfquote dadurch bei teilweise unter fünf Prozent.

Andere europäische Städte experimentieren ebenfalls mit dem Farbsacksystem, darunter die französische Großstadt Nantes und die Schweizer Städte Bern und Basel. In Deutschland testet die Bottroper Entsorgung und Stadtreinigung die bunten Säcke. Allerdings werden diese nur in einem gemeinsamen Container entsorgt. Und der wird wie gehabt von orange lackierten Trucks in den frühen Morgenstunden abgefahren.

 

© 320°/bs | 27.11.2018

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