Interview zu den Ausschreibungen der Dualen Systeme

Trotz fehlendem Mengenclearing haben die Dualen Systeme mit den Ausschreibungen begonnen. Markus Figgen, Anwalt in der Kanzlei avocado, erklärt im Interview mit 320°, welche Konsequenzen auf die Entsorger zukommen können und wer künftig für gestohlene Behälter aufkommen soll.

„Vieles mit heißer Nadel gestrickt“


Derzeit laufen die Ausschreibungen für die Erfassung von Leichtverpackungen und Glas in einem Drittel der Entsorgungsgebiete in Deutschland. Seit dem 26. Mai können interessierte Unternehmen die Ausschreibungsunterlagen anfordern. Ihr Angebot müssen sie online bis zum 23. Juni und schriftlich bis zum 26. Juni abgegeben haben. Vertragsbeginn ist der 1. Januar 2015.

Herr Figgen, der Start der Ausschreibungsrunde 2014 wurde unter anderem deswegen verschoben, weil sich die Systembetreiber Anfang Mai noch nicht auf ein einheitliches Mengenclearing einigen konnten. Nun sind die Unterlagen draußen. Hat sich denn bei der Clearingfrage was getan?

avocado
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Nein. Der alte Vertrag ist nach wie vor von DSD gekündigt und es wird im Moment eine neue Regelung, die dann auch für die neuen Verträge Gültigkeit hätte, verhandelt. Die Systeme haben sich vorgenommen, bis zum 12. Juni eine Einigung zu erzielen. Diesen Zeitpunkt halte ich für theoretisch denkbar, aber für praktisch eher unwahrscheinlich.

Sind die neuen Verträge auf die unsichere Situation abgestimmt?

Auch das nicht. Sie werden zu dieser Problematik in den Ausschreibungsunterlagen nicht ein Wort finden. Vertragsrechtlich wird so getan, als hätten wir die gleiche Situation wie im vergangenen Jahr.

Was bedeutet das nun für die Unternehmen, die ein Angebot abgeben möchten?

Da die Angebotsfrist schon am 23. Juni endet, kann es gut sein, dass es zu diesem Zeitpunkt keinen gültigen neuen Clearingvertrag gibt. Damit besteht im Vergleich zu den vergangenen Jahren zumindest ein erhöhtes Risiko, dass es auch bis zum Vertragsbeginn am 1. Januar 2015 keinen neuen Vertrag geben wird.

Welche Konsequenzen hat das dann für die Entsorger?

Wir hätten dann die Situation, die uns schon von Anfang Mai bekannt ist. Es spricht viel dafür, dass sich wenigstens die Mehrheit der Systembetreiber auf ein einheitliches Clearingprocedere einigen und an diesen Zahlen, sprich an den so ermittelten Marktanteilen, orientieren und auch entsprechend abrechnen wird. Nun kann es jedoch sein, dass ein System sagt: „Ich komme aber zu anderen Zahlen“. Beispielsweise möchte der Entsorger 17 Prozent Marktanteil auf der Basis des Clearings der „anderen“ abrechnen, aber der Systembetreiber reklamiert für sich nur 13 Prozent Marktanteil.

Welche Möglichkeiten hat der Entsorger dann?

Er wird in dem Fall die nach seiner Ansicht fehlenden 4 Prozent wohl gegenüber diesem Systembetreiber/Vertragspartner einklagen müssen. Ein Recht auf Kündigung der Verträge hat er zumindest in dieser Konstellation nicht, da dieses Risiko des Mengenclearings im Vertrag ihm, das heißt dem Entsorger, zugewiesen ist. Sollte der Systembetreiber dann vor Gericht mit seiner Berechnung Recht bekommen, muss der Entsorger die fehlenden 4 Prozent bei den restlichen Systembetreibern einklagen, da dann mutmaßlich deren Clearing fehlerhaft war.

Das klingt sehr risikoreich. Allerdings haben die Systeme ja noch bis Ende des Jahres Zeit, sich auf einen gemeinsamen Clearingvertrag zu einigen…

…das schon, aber der Bewerber sollte das Risiko bei seiner Kalkulation zumindest kennen. Ob und wie er es gegebenenfalls einpreist, muss er selbst wissen. Es wäre jedenfalls sicher besser gewesen, diese ungeklärte Clearingfrage in irgendeiner Form angemessen in den Verträgen zu behandeln, anstatt so zu tun, als gäbe es diese Frage gar nicht.

Was wurde denn neu in die Ausschreibungsunterlagen aufgenommen?

Die meisten neuen Regelungen sind in den Verträgen von DSD zu finden. Eine davon betrifft eine weitere Regelung zum fakultativen Bieterausschluss.

Was hat es damit auf sich?

Das heißt, dass in einem Ausschreibungsgebiet zwei verbundene Unternehmen nicht zwei Angebote abgeben dürfen. Das betrifft zum Beispiel einen Entsorger, der zum einen selbst und zum anderen mittelbar mit einer Privat-Public-Partnership-Gesellschaft, an der er beteiligt ist, ein Angebot abgeben möchte. Da könnte dann DSD beide von der Vergabe ausschließen. Ein derartiger genereller Ausschlussgrund ist meines Erachtens wettbewerbsrechtlich problematisch.

Welche Punkte halten Sie noch für kritisch?

Da wäre zum Beispiel der Passus in den DSD-Verträgen, dass ein Erfasser, der nachträglich den Umschlagplatz verändert, grundsätzlich dafür 500 Euro netto Aufwandspauschale an DSD zahlen muss. Da stellt sich schon die Frage nach dem „Warum?“. Außerdem müssen die Fahrzeuge bei der Beladung räumlich vollständig ausgelastet werden – das kann auch teilweise problematisch sein.

Haben auch andere Systeme ihre Unterlagen geändert?

Es gibt ein paar kleine Passagen bei BellandVision und Redual, die im Ergebnis aber nicht von so großer Relevanz sein dürften. Eine Änderung haben aber alle aufgenommen: Zukünftig muss der Erfasser nicht nur defekte, sondern auch entwendete Wertstoffbehälter ersetzen.

Wer kam denn früher für verschwundene Tonnen auf?

In der Vergangenheit hat der Erfasser diese Kosten dem Systembetreiber in Rechnung gestellt. Jetzt trägt er sie selbst. Das sind zwar keine riesigen Beträge, aber ein weiteres Risiko, das bei der Kalkulation bedacht werden muss – vor allem in Gegenden, wo das „Verschwinden“ von Wertstofftonnen schon mal häufiger vorkommt.

Was ist Ihnen bei den Verträgen sonst noch aufgefallen?

Man merkt an einigen Stellen schon sehr, dass da vieles mit der heißen Nadel gestrickt wurde. Offenbar wollten die Systembetreiber nun möglichst schnell an den Start gehen. Es gibt auch einige vermutlich eher redaktionelle Fehler. So enden Fristen auch mal am 18. Mai 2012 oder Sätze unverständlich im Nirvana.

Was meinen Sie, kann man bei all den Widrigkeiten guten Gewissens ein Angebot abgeben?

Die letztgenannten Punkte werden voraussichtlich keinen abschrecken, ein Angebot abzugeben. Die zentrale Frage ist eher: Habe ich das Vertrauen – insbesondere in die Systembetreiber -, dass bis zum Ende des Jahres 2014 eine vernünftige und nachhaltige Clearingregel zustande kommt? Das muss jeder für sich selbst bewerten. Ich denke aber, dass die meisten Unternehmen da recht zuversichtlich sind.

© 320°/ek | 12.06.2014

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