Ein Reisebericht

Ein Fernseher in Deutschland wird ausrangiert. Monate später landet er auf einer riesigen Müllkippe Agbogbloshie in Ghana. Tausende Tonnen alter Elektrogeräte machen oft lange Reisen. Eine Spurensuche.

Von Hamburg auf die E-Schrott-Deponie Agbogbloshie


Tony Obour ist ein Meister mit dem Schraubenzieher. Er brütet über einem Fernseher. In seinem Laden in Accra repariert der Ghanaer Altgeräte aus Europa. Andernorts in der westafrikanischen Millionenstadt beugt sich Lubman Idris über Metallreste. Er verdient sein Geld mit dem Rohstoffverkauf aus kaputter Elektronik.

Über 5.000 Kilometer entfernt, in Hamburg, hat auch Polizeioberkommissar Wolfgang Heidorn mit Bildschirmen und Kühlschränken zu tun: Er soll Elektromüll finden, der das Land eigentlich nicht verlassen dürfte. Alle drei Männer haben Rollen in einem Wirtschaftskreislauf, der in Teilen oft illegal ist. Und der manche Menschen in armen Ländern krank macht.

Ausgangspunkt: Hamburg, Billstraße

Computer, Drucker, Staubsauger, LED-Leuchten: International wächst der Berg an Elektromüll. Eine UN-Studie schätzt, dass die Menge weltweit von 44,8 Millionen Tonnen auf über 52 Millionen im Jahr 2021 ansteigen wird. Auch weil Menschen in reichen Ländern wie Deutschland schnell die neueste Technik nutzen wollen.

Häufig bleibt es im Verborgenen, was mit dem E-Schrott geschieht. Oft schippern alte Geräte auf andere Kontinente. Vieles wandert Richtung Afrika, häufig nach auf den riesigen Schrottplatz Agbogbloshie in Ghana.

Tafsir Rahimi hat sich auf alte Elektrogeräte spezialisiert. Der Afghane ist Händler in der Billstraße in Hamburg-Rothenburgsort. In Schuppen, Läden und Hallen sind Polstermöbel, Fernseher, Elektrogeräte und Fahrräder zu finden. Die Qualität reicht von ganz ordentlich bis eher Schrott.

Rahimi kauft Elektronik von Firmen, die von Verbrauchern zurückgegebene Altgeräte sammeln, wie er erläutert. Die regelmäßigen Kontrollen durch Polizei und Behörden in der Billstraße empfindet er als Stress. Kaputte Elektronik – also Schrott – darf nicht einfach in Länder mit niedrigen Standards exportiert werden. Seit der Neufassung des Elektrogesetzes 2015 müssen Exporteure nachweisen, dass Altware noch funktioniert. Er lasse seine Geräte auf Funktionsfähigkeit prüfen, betont Rahimi.

Nächster Halt: Hamburger Hafen

Der nächste Halt der Ware aus der Billstraße ist häufig der Hamburger Hafen. Dort ist den Ermittlern für Umweltdelikte auf dem Terminal in Altenwerder ein Container aufgefallen. Er ist doppelt so schwer, wie er nach den Frachtpapieren sein dürfte und muss zurück zur Spedition. Es könnten darin Elektrogeräte versteckt sein, die nicht mehr funktionieren.

Kommissar Wolfgang Heidorn kommt zur Kontrolle. Drei Stunden dauert es, bis afrikanische Helfer den Container geleert haben. Ans Licht kommen Plastikstühle, Kühlschränke, Fahrräder, Polstermöbel, TV-Geräte. Speditionsmitarbeiter Adigun Lawal betont, das sei kein Müll. Es gehe um den Handel mit Gebrauchtwaren.

Afrikaner kauften lieber Secondhand-Dinge in Deutschland als Neues aus China, sagt der gebürtige Nigerianer. Nach der Inspektion fällt Heidorns Bilanz bescheiden aus. Er hat eine Reihe von Fernsehern ohne Funktionsnachweis aufgespürt.

Per Schiff nach Ghana

Das Hamburger Institut für Ökologie und Politik, kurz Ökopol, hatte für 2008 geschätzt, dass damals rund 155.000 Tonnen alte Elektrogeräte von Deutschland nach Afrika und Asien exportiert wurden. Neuere Detail-Erhebungen dazu fehlen. 2014 wurden in der EU nach Angaben von Eurostat 9,3 Millionen Tonnen Elektronik auf den Markt gebracht. Ein Jahr später waren es bereits 9,8 Millionen Tonnen. Etwa ein Drittel bis rund die Hälfte dieser Menge wird in Europa als Abfall getrennt gesammelt und entsorgt.

Einer der wichtigsten Importeure alter Elektronik ist Ghana. Etwa 7.800 Kilometer legen die Schiffe von Hamburg zum Hafen Tema zurück. Von dort ist es eine halbe Fahrstunde zur Hauptstadt Accra.

Ein Kran hievt die Container von Schiffen auf Lastwagen. Die Lkw rollen an Lagerhallen vorbei zu einem der Terminals. Hier wird der Inhalt inspiziert. 50 bis 100 Stück am Tag, rund 30 Minuten pro Container, erläutert Peter Bopam. Der Ghanaer in blauer Uniform hat im Jubilee Terminal das Sagen.

Die schwüle Tropenhitze ist erdrückend. „Wir versuchen, so viele Container wie möglich zu prüfen“, sagt Fred Yankey von der Steuerbehörde. Doch es gebe zu wenig Kapazitäten.

Und was passiert, wenn kaputte Elektrogeräte ankommen? Ghana hat wie viele andere Staaten die Baseler Konvention ratifiziert, die den Export von Elektroschrott in Entwicklungsländer verbietet. Schulterzucken. Man prüfe nicht, ob etwas funktioniere, sagt Fred Yankey. Von dem deutschen Funktionsnachweis habe er noch nie gehört.

„Natürlich darf Elektroschrott eigentlich nicht importiert werden“, erläutert Markus Spitzbart. Er ist für die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit, kurz GIZ, in Ghana. Diese entwickelt mit der Regierung in Accra Pläne, wie Elektromüll besser weiterverarbeitet werden kann.

Ein Teil wird repariert, der Rest verkauft

Mit den alten Geräten aus Europa verdient Tony Obour seit fast 30 Jahren sein Geld. Obours Werkstatt liegt im Stadtviertel Abeka, etwa 50 Kilometer vom Hafen Tema entfernt. Der 51-Jährige repariert gebrauchte Fernseher. Der einzige Raum ist vollgestellt mit Regalen, in denen eingestaubte Ersatzteile liegen.

Die Geräte kaufe er von Importeuren, die ihre Ware neben dem Hafen anböten, erzählt Obour. Ob sie laufen oder nicht, findet er erst in seiner Werkstatt heraus. „Wir testen sie vorher nicht. So sind sie billiger“, sagt er. Er versuche, so viele wie möglich zu reparieren. Dann verkauft er sie über einen Händler.

Sie stehen später im Wohnzimmer einer ghanaischen Familie oder hängen an der Wand eines Straßencafés. Aus den völlig kaputten TV-Geräten baut Tony Obour alles aus, was er als Ersatzteile nutzen kann. Was nach dem Ausschlachten übrig ist, hat für ihn keinen Wert mehr.

Für andere schon. Die Überreste gibt Obour an Schrottsammler. In ganz Accra sind sie zu sehen. Junge Männer, meist zwei, schieben Holzkarren vor sich her. Die Sammler gehen von Laden zu Laden, von Haus zu Haus, und holen kaputte Elektrogeräte ab.

Endstation Agbogbloshie

Fast alles, was Metall enthält, können sie gebrauchen. Damit ziehen die Sammler weiter in ein Gebiet westlich der Innenstadt von Accra. Rund 17 Kilometer sind es von Obours Werkstatt dorthin.

Agbogbloshie – so heißt dieses Stadtviertel. Es erstreckt sich entlang eines Flusses, dessen verdrecktes Wasser in eine Lagune und dann in den Golf von Guinea fließt. Agbogbloshie sieht aus wie der Friedhof unserer elektronischen Welt.

Die Wege schlängeln sich an Alt-Motoren und Autokarosserien vorbei. Die Erde ist schwarz, wie am Fuße eines Vulkans. Unter einfachen Wellblechdächern werkeln junge Männer.

Agbogbloshie ist weltweit nicht als Stadtteil bekannt, sondern als Müllkippe. Hier landet Elektroschrott aus Ghana, Westafrika und der Welt. Hier trotzen Menschen dem Abfall verwertbare Reste ab und verdienen so ein klein wenig Geld.

Ein Markt mit System

In Ghana existiert fast keine reguläre Recyclingindustrie. „Wir kaufen die Sachen von den Leuten mit den Karren“, sagt Lubman Idris. Der 30-Jährige hat eine Mini-Werkstatt am Ufer des Flusses. Idris öffnet ein Plastikgehäuse. Zum Vorschein kommt eine Kupferspule. Die braucht er.

Seit zwölf Jahren arbeitet Lubman Idris als Recycler. Er trägt ein weißes Trikot des FC Bayern. „Ich bin ein Fan von Bayern und Chelsea“, sagt er und grinst. Er kommt aus dem Norden Ghanas. „Dort gibt es keine Arbeit.“

Agbogbloshie wirkt auf den ersten Blick chaotisch. Bald aber wird klar: Dies ist eine gut geölte Maschine, ein Markt mit System. Zehntausende arbeiten hier. Eine genaue Zahl gibt es nicht. Jeder hat seine Rolle: Sammler, Recycler, Agent, Händler. Auf dem Gelände existiert eine Vereinigung für Schrotthändler, sogar ein Büro der Steuerbehörde und Niederlassungen von Banken.

Risiken werden in Kauf genommen

Eigentlich ist informelle Arbeit in Afrika gang und gäbe, jedenfalls kein Aufregerthema. Wären da nicht die Gefahren für Gesundheit und Umwelt. Über Agbogbloshie hängt stinkender Rauch. Er treibt von einer Freifläche herüber, hinter dem Schrottplatz.

Die Recycler von Agbogbloshie kommen hierher, um Kabel aus alten Elektrogeräten zu verbrennen. Schmilzt das Plastik, lässt sich das Metall schnell entnehmen.

Die Schrottarbeiter und Anwohner des Slums atmen die Giftschwaden ein. Hinzu kommt, dass viele Recycler mit gefährlichen Materialien hantieren, ungeschützt. Fachleute untersuchen, wie geschwächte Lungen, Tumore und Schilddrüsenprobleme damit zusammenhängen. Oft seien im Elektroschrott Stoffe wie Quecksilber, Blei und Kadmium oder Chemikalien zu finden, so ein UN-Bericht.

Menschen wie Lubman Idris nehmen die Risiken hin. „Davor kann man nicht weglaufen“, sagt der 30-Jährige. Das Material, das er aus Altgeräten gewinnt – Kupfer, Aluminium, Eisen – gebe er weiter: „Die Händler kommen vorbei, kaufen es und verkaufen es dann an andere.“

Der Kreis schließt sich

Der Einkäufer kommt auf einem klapprigen Fahrrad zu den Recyclern. „Ich verkaufe es an Firmen, die die Metalle einschmelzen und exportieren“, sagt er. Der UN-Bericht schätzt den Wert des Rohmaterials aus Elektroschrott weltweit auf 55 Milliarden Euro. Und wohin werden die in Accra gewonnenen Metalle exportiert? Nach China, Frankreich, Indien, Deutschland, diese Länder nennt er als Beispiele.

So schließt sich der Kreis. Es gibt Märkte für Secondhand-Elektronik in Ländern wie Ghana und einen internationalen Markt für Rohstoffe aus Altgeräten. Ausrangierte Elektronik und Abfall als wertvoll zu erkennen, so betonen Fachleute, hat durchaus Pluspunkte.

Schwierige Bedingungen für den formellen Sektor

„Unter Ressourcengesichtspunkten ist das erstmal total sinnvoll“, sagt Till Zimmermann vom Hamburger Institut Ökopol mit Blick auf den Export der Geräte. Viele würden weiter genutzt, bevor sie im Müll landeten. Abertausende Menschen wie Obour und Idris finden in dem Geschäft in armen Ländern zudem eine Beschäftigung.

Doch der echte Schrott landet zügig im Feuer auf dem Müllberg in Agbogbloshie. Und die Gesundheitsrisiken, die verdreckte Umwelt und die geringen Verdienste der Untersten im Abfallgeschäft stehen auf der Gegenseite der Bilanz.

Ein besseres Recycling wäre ein Anfang. „Weil der informelle Recyclingsektor in Ghana so gut organisiert ist, kann der formelle Sektor gar nicht richtig Fuß fassen“, sagt der Fachmann Spitzbart.

Die Idee ist nun, aus den informellen Recyclern offizielle Verwerter zu machen. Das Verarbeiten von giftigen Stoffen und das Verbrennen von Plastik sollten aber gestoppt werden. Das hinzukriegen, ist eine gewaltige Aufgabe.

 

© 320°/dpa | 27.09.2018

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