Prozessüberwachung

Das Potenzial der Blockchain-Technologie erscheint riesig. Auch die Recyclingwirtschaft könnte davon profitieren, wenn künftig jeder Schritt transparent und nachvollziehbar dokumentiert wird. Illegale Machenschaften mit Abfall könnten damit der Vergangenheit angehören. Die ersten Unternehmen testen die Technologie bereits.

Wie Blockchain die Recyclingindustrie verändern könnte


Blockchain-Technologien erleben derzeit einen Hype. In nahezu allen Branchen und Bereichen wird fieberhaft an der dezentralen Datenbanktechnologie geforscht. Kein Wunder, lockt die Blockchain doch mit dem Versprechen, transparent, lückenlos nachvollziehbar, fälschungssicher und kostensparend zu sein.

Die Blockchain-Technologie bietet dabei viel Raum für Fantasie. Denn noch lässt sich nicht abschätzen, was alles mit ihr machbar sein wird. „Diese Technologie bietet ein sehr hohes Potenzial für die Zusammenarbeit zwischen Organisationen“, sagt Thomas Rose, Leiter Risikomanagement am Fraunhofer-Institut für Angewandte Informationstechnik (FIT). „Auch für die Recyclingindustrie bietet sie Potenzial.“

Rose und seine Kollegen forschen schon seit drei Jahren am Fraunhofer FIT in einem eigenen Blockchain-Labor an verschiedenen Anwendungen. Projekte mit der Entsorgungs- und Recyclingwirtschaft gebe es zwar noch nicht, sagt der Wissenschaftler. Somit gebe es auch keine praktischen Erfahrungen, wie die Blockchain in dieser Branche eingesetzt werden könnte. Der Professor für Medienprozesse kann sich aber gut vorstellen, dass sie vor allem für Herkunftsnachweise und als Möglichkeit der Produktnachverfolgung interessant werden könnte.

Nachweis einer korrekten Entsorgung

„Mittels der Blockchain kann man sehen, ob ein Produkt korrekt entsorgt und recycelt wurde“, sagt er. Dafür sorge eine lückenlose Dokumentation aller durchgeführten Transaktionen. In einer Blockchain lasse sich jeder Schritt eines Prozesses mit allen dazugehörigen Daten und Dokumenten sicher und irreversibel festhalten. „Aus ihr geht daher zweifelsfrei hervor, wer was wann wie getan hat.“

Eine Blockchain müsse man sich als eine Art verteilte Datenbank vorstellen, erläutert Rose. Jeder Teilnehmer der Blockchain speichere den vollständigen Datensatz in Form von Blöcken, die miteinander kryptografisch verknüpft sind. Werden neue Daten hinzugefügt, werde die Blockchain bei allen Teilnehmern über ein Abstimmungsverfahren aktualisiert.

Durch die Kombination des verteilten Abstimmungsverfahrens mit der kryptografischen Verknüpfung der Blöcke sollen die Daten in einer Blockchain nicht manipulierbar sein. „Würde jemand versuchen, im Nachhinein Inhalte der Blockchain zu ändern, würde dies sofort von allen anderen Teilnehmern erkannt“, erklärt Rose.


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[su_spoiler title=“Was ist eine Blockchain?“]

  • Wie eine Blockchain funktioniert, hat der Tech-Experte Jamie Skella in einem Artikel bei LinkedIn vereinfacht, aber anschaulich beschrieben. Demnach kann man sich eine Blockchain wie ein Kassenbuch vorstellen. Sobald zwischen einem Absender und einem Empfänger eine Datentransaktion stattfindet, wird in das Kassenbuch eine neue Position eingetragen.
  • Auf dieses Kassenbuch haben aber nicht nur die beiden Akteure Zugriff. Hunderte oder sogar Tausende Kopien davon befinden sich auf Computern weltweit – je nachdem, wie groß das Netzwerk dieser Blockchain ist. Sobald eine neue Position in eines dieser Kassenbücher eingetragen wird, erscheint dieser Posten in allen anderen Kassenbüchern. Die Computer, auf denen die Kassenbücher gespeichert sind, authentifizieren den Vorgang. Erst jetzt ist die Transaktion gültig.
  • Da jede Zeile für immer und unveränderlich im Kassenbuch stehen bleibt und von Hunderten Computern authentifiziert werden muss, gelten Transaktionen über eine Blockchain – im Vergleich zu heutigen Systemen – als so gut wie fälschungssicher, schreibt Skella.
  • Jede Transaktion, sprich jeder Block, bekommt einen Zeitstempel und ist durch kryptologische Verfahren abgesichert. Eine Nachfolgertransaktion passt nur auf den Vorgänger, dies wird über eine sogenannte Hash-Verknüpfung sichergestellt.
  • Der jeweils nachfolgende Block bestätigt die Richtigkeit des vorangegangenen Blocks. Nachträgliche Manipulationen sind durch die Hash-Verknüpfung ausgeschlossen.
  • Beim sogenannten Hashing werden Hash-Werte erzeugt, die für den Zugriff auf Daten oder für die Sicherheit dienen. Ein Hash-Wert ist eine Zahl, die aus einer Zeichenkette von Text erzeugt wird. Der Hash ist wesentlich kleiner als der Text selbst und wird durch eine Formel so erzeugt, dass es äußerst unwahrscheinlich ist, dass ein anderer Text den gleichen Hash-Wert erzeugt.

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Keine illegalen Machenschaften mehr?

„Die Blockchain ist dabei kein Datenhaltungsinstrument, sondern ein Zertifizierungsinstrument“, hebt Rose hervor. Mit ihr lasse sich die Korrektheit von Transaktionen nachweisen und bestätigen. Könnte also Blockchain beispielsweise illegale Machenschaften mit E-Schrott oder alten Pkw unterbinden?

Denkbar wäre es, meint Rose. „Nehmen Sie an, Sie wollen einen kaputten Fernseher entsorgen. Sie wenden sich an die Stadt, diese schickt Ihnen per E-Mail einen Barcode zu. Diesen drucken Sie aus und kleben ihn auf das Gerät.“

Der Barcode sei nun der digitale Zwilling des Altgeräts, das entsorgt werden soll. Der digitale Zwilling begleitet in diesem Fall den alten Fernseher auf all den folgenden Schritten: Vom Abholer oder der Sammelstelle über den Transport bis zur Erstbehandlungsanlage und die weiteren Recyclingschritte – bis am Ende Sekundärmaterialien vorliegen. Mittels Plausibilitätstests sei es möglich, die Korrektheit der Entsorgung festzustellen, so der Wissenschaftler.

Use Cases nötig und gewünscht

Das alles sei aber nur ins Unreine gedacht, betont der Fraunhofer-Experte. Wie eine Entsorgung und das Recycling von E-Schrott und Abfällen generell in einer Blockchain abgebildet werden kann, müsse in Use Cases untersucht werden. Auch für die Fraunhofer Blockchain-Experten ist die Anwendung der Blockchain-Technologie in der Recyclingwirtschaft Neuland.

Einen Schritt weitergedacht, lässt sich mit Blockchain aber nicht nur eine korrekte Entsorgung nachweisen. Sondern auch, ob ein Entsorger oder Recycler beispielsweise im vergangenen Jahr korrekt gearbeitet hat und alle Leistungen komplett erfüllt wurden. Auch Betrügereien wären damit wohl nur noch schwerlich möglich.

Gleichwohl bietet auch Blockchain keine völlige Transparenz, denn sensible Firmendaten oder Vertragstexte sind selbstverständlich nicht für alle sicht- und lesbar. „Die getroffenen Vereinbarungen und Verträge werden kodiert“, erklärt der Fraunhofer-Forscher Rose. Eine beliebige Zeichenkette werde in den Blocks in eine Zeichenkette festen Formats mit einer bestimmten Länge umgewandelt. Diese Zeichenkette repräsentiere den Vertrag in der Kette.

Hinzu kommt, dass öffentliche Blockchain-Netzwerke mit einer asymmetrischen Verschlüsselung arbeiten. „Das bedeutet, dass alle Teilnehmer einen bestimmten Code haben, mit dem sie pseudonymisiert öffentlich auftreten“, erläutert Rose.

Alba untersucht Blockchain- und Tangle-Lösungen

Das Schlagwort „Blockchain“ macht unterdessen auch in der Recyclingbranche die Runde. „Blockchain kann auch in der Entsorgungs- und Recyclingwirtschaft einen wesentlichen Beitrag zur Beschleunigung und Rationalisierung leisten“, sagt etwa Susanne Nitzsche von der Alba Group.

„Wir untersuchen derzeit, inwieweit wir die Blockchain-Technologie oder auch die noch nicht so bekannte Tangle-Lösung im Logistikbereich für uns nutzen können“, berichtet Nitzsche, die Albas InnovationLab, das sogenannte Alba BluehouseLab, leitet. Hierzu sei in den vergangenen Wochen bereits eine Idee entwickelt worden. Noch in diesem Jahr solle die Entwicklung für das Minimum Viable Product beginnen.

Daneben will auch das maltesische Unternehmen Troventum die Blockchain-Technologie nutzen. Die Firma plant hierfür eine integrierte Recycling-Plattform. Das erste von vier Modulen der Online-Plattform werde das Recycler OS sein, wie das Unternehmen ankündigt.

Die Systementwicklung erfolgt laut Troventum in zwei Phasen: Zunächst würden die Grundfunktionen für Sammler entwickelt. Im zweiten Schritt kämen erweiterte Funktionen für Recycler hinzu. Geplant seien außerdem weitere Module, über die die gesamte Logistik abgewickelt werden könne. Aber auch potenzielle Abnehmer der Sekundärrohstoffe sollen auf diesem Internet-Marktplatz eingebunden werden.

Bislang jedoch ist das Projekt noch in einer frühen Phase der Entwicklung. Troventum setzt derzeit noch auf das Initial Coin Offering (ICO). Dieses neue Modell der Projektfinanzierung wird bei der Entwicklung von Blockchain-Projekten üblicherweise als eine Art Crowdfunding genutzt, um eine Idee in die Wirklichkeit umzusetzen. Anfang November will Troventum sein ICO starten.

Blockchain ermöglicht vorausschauende Wartung

Die Blockchain kann aber noch mehr als Produktverfolgung oder Logistik. Sie soll unter anderem auch bei der Wartung von Maschinen eingesetzt werden können. Dabei werden sowohl Unternehmen und Techniker als auch Maschinen mit digitalen Zwillingen ausgestattet. Diese sollen sie in die Lage versetzen, direkt miteinander Transaktionen auszuführen. Ein zentrales Cloud-System als Vermittler wird dabei überflüssig.

Eine solche Predictive-Maintenance-Lösung hat das Dresdner Unternehmen Evan (vormals Contractus) entwickelt. Diese arbeitet den Angaben zufolge automatisiert und belässt dem Anwenderunternehmen die Kontrolle über seine Maschinendaten.

Tritt ein Wartungsfall ein, kann die Maschine quasi selbst nach einem Techniker rufen. Über den digitalen Zwilling könnten selbst verschiedene Service-Partner im Netzwerk gesucht und angefragt werden. Verfügbare Service-Partner könnten dann ihre Leistungen anbieten und würden durch den digitalen Zwilling der Maschine beauftragt.

Mit der Auftragserteilung erhält der Techniker Zugriff auf den Zwilling und damit auf benötigte Maschinen- und Serviceinformationen. Die gesamte Protokollierung der Service-Aktivitäten erfolge direkt im digitalen Zwilling und wird für alle Beteiligten einsehbar, dauerhaft und nicht manipulierbar gespeichert. Über diesen Weg sollen sich später auch nachgelagerte Prozesse, wie die Bezahlung oder etwaige Gewährleistungsprüfungen, vollständig automatisieren lassen.

 

© 320°/mk | 02.10.2018

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