Qualitätssicherung

Vor allem junge Wissenschaftler stehen unter Druck: Für ihre Karriere sollen sie in Fachzeitschriften möglichst viele Artikel veröffentlichen. Dabei geraten sie mitunter an unseriöse Verlage, wie Recherchen belegen.

Wie der Publikationsdruck die Glaubwürdigkeit der Wissenschaft beschädigt


Die Zahl von wissenschaftlichen Veröffentlichungen in zweifelhaften Online-Fachzeitschriften hat in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen. Mehr als 5.000 deutsche Wissenschaftler hätten schon Forschungsergebnisse bei unseriösen Verlagen publiziert, berichteten die Sender NDR und WDR sowie das Süddeutsche Zeitung Magazin. Weltweit seien es etwa 400.000 Forscher.

Den Angaben zufolge nutze solche Verlage den Publikationsdruck, der auf Wissenschaftlern lastet, und sprechen diese per E-Mail an. Die Betroffenen publizierten Ergebnisse gegen Zahlung teilweise hoher Gebühren in den Internet-Journalen, die von Unternehmen in Südasien, der Golfregion, Afrika oder der Türkei herausgegeben werden.

Die Firmen behaupteten zwar, Forschungsergebnisse wie international üblich vor Veröffentlichung anderen erfahrenen Wissenschaftlern zur Prüfung vorzulegen. Den Recherchen zufolge geschehe dies jedoch meist nicht. Das trifft die Wissenschaft an ihrer empfindlichsten Stelle: der Glaubwürdigkeit ihrer wissenschaftlichen Arbeit. Zudem hätten auch Wissenschaftler offenbar gezielt die Dienste solcher Verlage genutzt, um Forschungsbeiträge schnell zu veröffentlichen. Doch wie sieht die Praxis wissenschaftlicher Veröffentlichungen generell aus? Ein Überblick:

Wann ist eine Fachzeitschrift unseriös?

Bevor eine wissenschaftliche Fachzeitschrift eine Studie publiziert, lässt sie sie von unabhängigen Experten begutachten. Dieser Prozess – das sogenannte Peer Reviewing – kostet Zeit und kann damit enden, dass die Gutachter Nachbesserungen fordern oder die Arbeit sogar ablehnen. Bei unseriösen Verlagen entfällt diese Begutachtung.

Was ist das Geschäftsmodell dieser Verlage?

Die Verlage veröffentlichen sogenannte Predatory Journals („Raubzeitschriften“). Sie schreiben Mitarbeiter von Forschungseinrichtungen gezielt an, um ihnen gegen Geld eine Publikationsmöglichkeit anzubieten. Sie geben sich seriös und sind mitunter selbst für Experten schwer zu erkennen. Und je mehr die Verlage veröffentlichen, desto mehr verdienen sie. Manche von ihnen haben Hunderte verschiedene Zeitschriften im Angebot.

Warum publizieren Wissenschaftler dort?

Oft aus Unwissenheit – aber vermutlich nicht immer. Forscher stehen unter starkem Publikationsdruck. Wer viele Artikel in Fachzeitschriften vorweisen kann, steigert sein Prestige – und damit auch die Chance auf Forschungsgelder, eine Anstellung oder die Einladung zu einem Vortrag auf einer Fachkonferenz.

Hinter Veröffentlichungen in solchen Journalen können auch finanzielle Interessen stehen – etwa wenn eine Studie die Heilkraft eines Präparats gegen eine Krankheit belegen soll. Dann können Unternehmen das Produkt unter Verweis auf wissenschaftliche Erkenntnisse bewerben. Besonders werbewirksam ist es, wenn Medien dann noch unkritisch über eine solche Veröffentlichung berichten. Auf die Zulassung von Medikamenten haben solche Veröffentlichungen keinen Einfluss.

Wie verbreitet sind solche unseriösen Veröffentlichungen?

Den Berichten zufolge haben in Deutschland mehr als 5.000 Forscher mindestens einmal in einer solchen Zeitschrift publiziert. Das beträfe nach Recherchen des Science Media Centers rund 1,3 Prozent des wissenschaftlichen Personals an deutschen Hochschulen. Die Max-Planck-Gesellschaft wertet die Praxis als „Randerscheinung“. Allerdings: Eine Studie muss nicht unbedingt wertlos sein, nur weil sie in einer solchen Raubzeitschrift erscheint.

Wem schadet diese Praxis?

Zunächst einmal der Wissenschaft selbst. Schlagwörter wie «fake science» verringern die Glaubwürdigkeit wissenschaftlicher Erkenntnisse generell. Zudem schadet sie jenen – öffentlichen und privaten – Arbeitgebern, die Bewerber auch auf Basis von Veröffentlichungen in solchen Journalen einstellen, sowie jenen Mitbewerbern, die dadurch das Nachsehen haben. Schlimmstenfalls können solche Praktiken auch Verbraucher schädigen. Etwa wenn sie im Internet nach Therapien gegen eine Erkrankung suchen und auf Berichte solcher unseriöser Journale stoßen.

Seit wann ist das Problem bekannt? Was wird dagegen getan?

Der US-Bibliothekar Jeffrey Beall weist bereits seit 2009 regelmäßig auf solche Journale hin und erstellt auch eine Liste der Zeitschriften und Verlage. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) betont, sie überarbeite aktuell ihre «Empfehlungen zur Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis». Die damit verbundenen Diskussionen seien noch im Gange. Zudem verweist die DFG auf ihre Initiative «Qualität statt Quantität». Demnach dürfen Antragsteller in Förderanträgen an die DFG maximal zehn eigene Publikationen angeben.

Den Recherchen zufolge hat sich die Zahl solcher Publikationen bei fünf der wichtigsten unseriösen Verlage seit 2013 weltweit verdreifacht, in Deutschland sogar verfünffacht. Das zeigt, dass noch Handlungsbedarf besteht.

Ist es generell verwerflich, wenn Forscher für die Veröffentlichung ihrer Studien zahlen?

Nein. Mit dem Internet kam die Open-Access-Praxis auf. Bei solchen Zeitschriften stehen – im Gegensatz zur Praxis traditioneller Fachblätter – Studienresultate allen Menschen kostenlos zur Verfügung. Seriöse Open-Access-Zeitschriften – darunter die Journale der „Public Library Of Science“ („PLOS“) und „BioMed Central“ („BMC“) – erheben von den Autoren eine Gebühr ab etwa 1.000 Euro für die Veröffentlichung. Es gelten die gleichen Regeln wie bei den klassischen seriösen Fachjournalen: Die Artikel der Texte werden zunächst von unabhängigen Experten begutachtet – und erst nach dieser Prüfung entweder akzeptiert, beanstandet oder abgelehnt.

 

© 320°/dpa | 19.07.2018

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