Zukunft des Gütertransports

Das auf dem Pariser Klimagipfel ratifizierte Zwei-Grad-Ziel verpflichtet die Bundesregierung zum Handeln – vordringlich im Verkehrssektor. Eine Lösung könnten Lastwagen sein, die an elektrischen Oberleitungen auf der Autobahn fahren. Für 2019 sind Feldversuche geplant. [ Video ]

Wie die Bahn, nur auf Asphalt


Groß Dölln, 80 Kilometer nördlich von Berlin: Von weitem nähert sich ein weißer Sattelzug, soweit kein ungewöhnlicher Anblick. Doch als er in Sichtweite kommt, ist auf dem Dach des Fahrerhauses ein Stromabnehmer zu erkennen, der in fünf Metern Höhe an eine Oberleitung andockt. Der Lkw fährt am Draht.

Mit einem Sirren, das kaum in den Rollgeräuschen auszumachen ist, gleitet der 40-Tonner dahin. Seit sieben Jahren erproben Ingenieure von Siemens auf einer zwei Kilometer langen Straße die Zukunft des Schwerlasttransports. Was da am Draht hängt, ist ein sogenannter Oberleitungshybrid-Lkw.

Fahrdraht statt Schiene

Das Projekt trägt den Namen eHighway und wurde vom Bundesumweltministerium (BMUB) auf den Weg gebracht. Die Idee: Ein Hybrid-Lkw, der an Oberleitungen über die Autobahn fährt – mit Strom aus erneuerbaren Quellen. Auf diese Weise soll der Straßengüterverkehr weitgehend „entkarbonisiert“ werden. Denn der Verkehrssektor ist der einzige Bereich, der seit 1990 steigende Emissionen verbuche, heißt es seitens des BMUB.

Handlungsbedarf besteht auch deshalb, weil Experten prognostizieren, dass die Güterverkehrsleistung sich bis 2050 verdreifachen soll. Allein 60 Prozent der Güter sollen zu diesem Zeitpunkt auf der Straße transportiert werden. Nur ein Drittel dieser Gütertransporte könnten beim maximalen Ausbau der Bahninfrastruktur auf die Schiene verlagert werden, so die Experten. Einige Autobahnen zu elektrifizieren, sei wesentlich einfacher und billiger.

Am ehesten vergleichbar ist das System mit dem von Oberleitungsbussen, wie sie auch heute noch in einigen Kommunen ihren Dienst verrichten. „Das eHighway-System ist ein elektrisches Verkehrssystem, wie sie das auch von U-Bahnen, Straßenbahnen oder aus dem Fernbahnbereich kennen“, sagt Michael Lehmann, zuständiger Systemingenieur bei Siemens. Es besteht aus vier Teilkomponenten.

Die erste Komponente ist eine Stromversorgung. Der Strom wird über Unterwerke an die Autobahn gebracht und über Oberleitungen zur Verfügung gestellt. In den Hybrid-Lkw gelangt die Energie über einen Stromabnehmer, im Fachjargon Pantograph genannt – die zweite Teilkomponente. Dort wird er direkt zum elektrischen Antriebssystem geleitet.

Zugleich ist der Pantograph auch Stromsammler; „weil es ja keine Schiene gibt“, so Lehmann. Als dritte Teilkomponente bezeichnet der Systemingenieur die Straße. Und als vierte Teilkomponente alle Systeme, die den Betrieb, die Steuerung und die Kommunikation der Systeme untereinander ermöglichen.

Mögliche Spritkostenersparnis: 25.000 Euro

Wie normale Lkw kann auch der Oberleitungshybrid-Lkw überholen. Der Fahrer setzt einfach den Blinker, daraufhin geht der Stromabnehmer herunter und der Dieselmotor startet automatisch. Ist das vordere Fahrzeug überholt, schert der Fahrer wieder ein.

Ein Sensor des Systems erkennt dabei, dass die Oberleitung wieder über dem Fahrzeug auftaucht, der Fahrer drückt kurz auf einen Knopf und der Stromabnehmer hebt sich wieder. „Die Geschwindigkeit des An- und Abkoppelns läuft in wenigen Sekunden ab“, erläutert Lehmann. Innerhalb von 50 Meter sei der Stromabnehmer gehoben, dann werde sofort vom Dieselbetrieb auf elektrischen Betrieb umgeschaltet.

Das System soll nicht mehr als eine Tonne wiegen und so entwickelt werden, dass es in verschiedene Typen von Hybrid-Lkw genutzt werden kann. Zudem kann der Spediteur verschiedene Konfigurationen wählen: eine Brennstoffzelle, eine kleine, mittlere oder große Lithium-Ionen-Batterie.

Lohnen soll sich die jeweilige Konfigurationen für den Spediteur in jeden Fall. Fährt ein Lkw 100.000 Kilometer unter Oberleitung könnten bis zu 25.000 Euro Spritkosten gespart werden, kalkuliert Siemens. Zudem könnten die Spediteure bei der Anschaffung eines Lkw mit finanzieller Unterstützung rechnen. Entsprechende Anreize wird es künftig sicherlich geben.


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A1 bis A9 künftig komplett elektrifiziert?

Bisher sind drei Einsatzgebiete für den Oberleitungshybrid-Lkw vorgesehen, vornehmlich im sogenannten Systemverkehr. Dazu gehört zum Beispiel der Verkehr zwischen Logistikzentrum und Hafen oder Hafen und Bahnverladung oder der Minenverkehr; also zwischen Mine und Schiffs- oder Bahnverladung. Das dritte Einsatzgebiet sind überlastete Autobahnen.

Dass nun alle Bundesautobahnen mit Stromleitungsmasten ausgestattet werden, ist eher unwahrscheinlich. Das BMUB schlägt vor, beispielsweise die A1 bis A9 zu elektrifizieren, also 5.000 Kilometer, und beruft sich dabei auf eine Analyse des Sachverständigenrates für Umweltfragen. Die Kosten für den Aufbau der Infrastruktur beziffert das Ministerium pro Autobahnkilometer mit einer Million Euro – insgesamt also fünf Milliarden.

Bis Lkw am Draht durch die Republik zischen, wird es allerdings noch ein wenig dauern. Zuvor soll die Technologie in der Praxis umfassend getestet werden. Zwei Feldversuche ab 2019 – einer bei Lübeck in Schleswig-Holstein und einer zwischen Darmstadt und Frankfurt/Main-Flughafen in Hessen – sind schon beschlossene Sache. Auf den Strecken sollen jeweils zwei mal sechs Kilometer lange Teilstücke elektrifiziert werden. Das Bundesumweltministerium steuert für jedes Projekt 14 Millionen Euro bei, drei bis vier Millionen Euro schießen die jeweiligen Landesregierungen zu.

System muss in der Praxis überzeugen

Das Bundesumweltministerium glaubt sich mit dem Oberleitungshybrid-Lkw auf dem effizientesten Weg zu mehr Klimaschutz. Dem Ministerium zufolge ist das System, betrieben mit Ökostrom, das effektivste, um den Kohlendioxidausstoß von Lkw deutlich zu verhindern. Untermauern soll die Aussage der Hinweis auf den Wirkungsgrad des Systems.

Denn die Energie von der Oberleitung wird direkt ins Fahrzeug übertragen, der Wirkungsgrad liegt Siemens zufolge bei über 80 Prozent. Zum Vergleich: Vollständig batteriebetriebene Lkw nutzen 62 Prozent der im Strom enthaltenen Energie. Nur noch bei 20 Prozent liegt der Wirkungsgrad von Gas-Lkw, weil der Kraftstoff über viele verlustreiche Schritte aus Strom gewonnen werden muss.

Auch der Bundesverband Güterkraftverkehr, Logistik und Entsorgung (BGL) ist von dem Projekt überzeugt: „Wenn man die Vorgaben des Klimaschutzplanes der Bundesregierung auch nur ansatzweise ernst nimmt, kommt man an einer Elektrifizierung des Straßenverkehrs nicht vorbei“, sagt Adolf Zobel, stellvertretender BGL-Hauptgeschäftsführer. „Der Oberleitungs-Lkw nimmt hierbei eine zentrale Rolle ein, schließlich wird sein Wirkungsgrad von bis zu 85 Prozent von keiner anderen zur Verfügung stehenden Technologie auch nur annähernd erreicht.“

Gleichwohl will der BGL die Feldversuche in Hessen und Schleswig-Holstein abwarten. Aussagen zur Wirtschaftlichkeit im Vergleich zu anderen Technologien könnten erst danach abschließend getroffen werden. „Dass die Technologie unter „Laborbedingungen“ tadellos funktioniert, wird auf der Teststrecke bei Groß-Dölln schon seit Längerem eindrucksvoll demonstriert“, so Zobel. Allerdings sei es ein Unterschied, ob ein Lkw einmal unter einem Fahrdraht hindurchfährt, oder permanent Dutzende von Lkw.

Variante der Wahl wäre Strom plus Diesel

Weitere Erkenntnisse werden die Feldversuche in Schweden und den USA bringen. Bereits seit Juni 2016 testet Siemens gemeinsam mit Fahrzeugherstellers Scania das System auf einer Strecke nördlich von Stockholm. In den USA sollen die Test in Kooperation mit Volvo in diesem Jahr beginnen. Geplant ist, ein Teilstück der Route von den Häfen in Los Angeles und Long Beach zu den küstennahen Güterbahnhöfen mit Infrastruktur auszurüsten.

Eines ist klar: Schwerlasttransporte werden künftig wohl auch bei einer kommerziellen Variante des eHighway mit Dieselkraftstoff fahren. Sie müssen ja erst einmal zur Oberleitung kommen. Je nach Auslegung des Energiespeichers kann ein Sattelzug derzeit zwischen 10 und 80 Kilometer rein elektrisch fahren. Gut möglich, dass es dann auch sogenannte E-Spediteure geben wird – also Spediteure, die sich auf Flotten vollelektrifizierter Lkw spezialisieren und ihre Dienste direkt an der Autobahn anbieten.

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