Konjunktur

Auf den ersten Blick sind Deutschlands Handelsverflechtungen mit Russland gering. Doch die wirtschaftlichen Folgen des Kriegs werden auch viele Unternehmen in Deutschland zu spüren bekommen. Ein Überblick über die betroffenen Branchen.

Wie der Russland-Krieg die deutsche Wirtschaft trifft


Die Bedeutung Russlands für die deutsche Wirtschaft ist den vergangenen Jahren in der Summe gesunken. Der Anteil des Landes am gesamten deutschen Außenhandel lag nach Angaben des Statistischen Bundesamtes 2021 bei 2,3 Prozent. Dennoch ist der Ukraine-Krieg eine Belastung für die deutsche Wirtschaft. „Auch wenn auf den ersten Blick die deutschen Außenhandelsverflechtungen in Relation zur Wirtschaftsleistung nicht übermäßig besorgniserregend erscheinen, können Dämpfer für das Wirtschaftswachstum nicht ausgeschlossen werden“, analysiert die DZ Bank. Ein Überblick:

  • Autoindustrie

Für Deutschlands Autohersteller hat der Konflikt nach erster Einschätzung des Branchenverbandes VDA nur begrenzte Auswirkungen. Etwa 39.700 Fahrzeuge aus deutscher Produktion seien im vergangenen Jahr nach Russland und in die Ukraine geliefert worden. Dies entspreche einem Exportanteil von 1,7 Prozent.

„Allerdings unterhalten die deutschen Unternehmen der Automobilindustrie 49 Fertigungsstandorte von Zulieferern und Herstellern in Russland und der Ukraine“, teilt der Branchenverband VDA mit. „Ein Abbruch der Lieferketten hätte ebenfalls negative Auswirkungen.“ In den Volkswagen-Werken in Zwickau und Dresden wird nach Angaben des Autobauers vom Freitag wegen ausbleibender Materiallieferungen für einige Tage die Fahrzeugfertigung ruhen. Nach Angaben eines VW-Sprechers fehlen unter anderem Elektrokabelsätze, die in der Ukraine hergestellt werden.

Der weltgrößte Lastwagenbauer Daimler Truck hat vorerst alle geschäftlichen Aktivitäten in Russland eingestellt. Daimler Truck kooperiert nach eigenen Angaben seit 2012 mit dem russischen Lkw-Hersteller Kamaz, den es mit Teilen für zivile Fahrzeuge beliefert. Diese Lieferungen seien nun eingestellt worden. „Wir haben mit militärischen Fahrzeugen von Kamaz nie etwas zu tun gehabt“, betonte ein Unternehmenssprecher.

Wie jedes andere Unternehmen bewerte auch Daimler Truck die Geschäftsbeziehungen zur russischen Partnern auf allen Ebenen, so der Sprecher weiter. Das gelte auch für das Joint Venture Daimler Kamaz Rus, das zu gleichen Teilen dem russischen und dem deutschen Unternehmen gehört, und rund 1.000 Menschen in Moskau und Chelny (Tartastan) beschäftigt. Dort werden ausschließlich nicht-militärische LKW und Fahrerkabinen gebaut. Von deutscher Seite sei die Produktion dort heruntergefahren worden.

Die wirtschaftlichen Folgen des immer wieder zu überprüfenden Schrittes seien überschaubar, erklärte der Sprecher: Der russische Markt mache gemessen am weltweiten Absatz von Daimler Truck nur rund ein Prozent aus.

  • Chemieindustrie

Wirtschaftlich könnte die Lage für energieintensive Branchen sehr problematisch werden, sollte Gas in Europa infolge des Ukraine-Konflikts knapp werden, warnt der Hauptgeschäftsführer des Verbands der Chemischen Industrie (VCI), Wolfgang Große Entrup. Die Energiepreise sind ohnehin eine Belastung für die Chemie- und Pharmaindustrie. Die Branche setzt nach VCI-Angaben derzeit rund 3,2 Millionen Tonnen Erdgas als Rohstoff ein (39 Prozent des Gesamtverbrauchs) und 84 Terawattstunden (61 Prozent des Verbrauchs) zur Energieerzeugung. Als Exportmarkt sind Russland und die Ukraine weniger bedeutend für die Branche: 2021 gingen rund 2,4 Prozent der Ausfuhren oder Güter im Wert von 5,6 Milliarden Euro nach Russland – Platz 10 in der Rangliste für Europa inklusive Schweiz und Großbritannien. Der Ausfuhranteil in die Ukraine betrug 0,5 Prozent.

  • Maschinenbau

Russland ist ein recht bedeutsamer Markt für die exportorientierten deutschen Maschinenbauer. Das Land rangierte im vergangenen Jahr auf Platz 9 der wichtigsten Abnehmerländer. Maschinen und Anlagen im Wert von knapp 5,5 Milliarden Euro gingen in die Russische Föderation. Wichtigste Absatzregion für die mittelständisch geprägte Branche sind allerdings mit weitem Abstand die EU-Länder mit einem Exportvolumen von gut 78,5 Milliarden Euro.

Deutschlands Maschinenbauer befürchten dennoch spürbare Auswirkungen für ihr Geschäft. „Die neuen Lieferverbote für diverse Güter nach Russland erfassen weite Teile des europäischen Maschinen- und Anlagenbaus“, fasste der Hauptgeschäftsführer des Branchenverbandes VDMA, Thilo Brodtmann, am Montag zusammen. „Sie betreffen Exporte im Volumen von mehreren hundert Millionen Euro. Es gilt nun, die Sanktionsbedingungen und deren Auswirkungen im Detail zu analysieren.“ Möglich seien auch noch Gegensanktionen von russischer Seite.

  • Luftverkehr

Im Luftverkehr hatten sich die europäischen Gesellschaften gerade auf einen fulminanten Neustart nach der Corona-Flaute vorbereitet. Jetzt sind Lufthansa und andere Gesellschaften gezwungen, ihre Flugpläne nach Fernost umzustricken, weil sie Russland nicht mehr an- oder überfliegen. Mehrere Passagier- und Frachtflüge mussten umkehren oder wurden gleich gestrichen.

Die Folge: Flugzeiten und Kerosinverbrauch erhöhen sich auf den südlichen Alternativrouten nach Japan, Korea und China erheblich, was zu Wettbewerbsnachteilen gegenüber chinesischen und arabischen Gesellschaften führen wird. Der russische Einmarsch in die Ukraine hatte zunächst nur begrenzte Auswirkungen auf den Luftverkehr, weil die Region als Zielgebiet nur eine kleine Rolle spielt. Medienberichten zufolge war der ungarische Billigflieger Wizz Air die einzige ausländische Gesellschaft, die vier ihrer Jets und die Crews nicht rechtzeitig aus der Ukraine ausgeflogen hat.

  • Tourismus

Die Branche hofft nach zwei harten Corona-Jahren auf wieder anziehende Geschäfte. Reiseveranstalter berichteten zuletzt von gestiegenen Buchungszahlen, insbesondere für die klassischen Ziele rund ums Mittelmeer wie Spanien, Griechenland oder die Türkei. Beliebt ist auch Urlaub im eigenen Land. Die direkten Folgen des Ukraine-Krieges dürften sich für die Branche daher in Grenzen halten.

Ob der Konflikt die wiederentdeckte Reiselust der Menschen dämpft, ist noch nicht abzusehen. „Militärische Konflikte tragen jedenfalls nicht zur Planungssicherheit für Reisen bei“, heißt es beim Reiseverband DRV. Direkt betroffen sind Reiseunternehmen, die Trips nach Russland und in die Ukraine anbieten. Erste Veranstalter haben bereits reagiert: Der Trekking-Spezialist Hauser Exkursionen etwa stellte seine Reiseangebote nach Russland ein.

  • Banken

Deutschlands Banken haben ihr Engagement in Russland schon in den vergangenen Jahren deutlich zurückgefahren. Deutsche Bank und Commerzbank bezeichnen ihr dortiges Geschäft als überschaubar. Der Gewerbeimmobilien-Finanzierer Aareal Bank bezifferte sein Restrisiko in Russland auf netto rund 200 Millionen Euro. Dabei handele es sich um einen Bürokomplex in Moskau mit internationalen Mietern.

Der Bundesverband deutscher Banken weist darauf hin, dass sich die meisten Geldhäuser wegen der seit 2014 bestehenden Sanktionen in Russland zurückgehalten hätten. Der Bundesbank zufolge belaufen sich die Forderungen deutscher Banken gegenüber Russland auf 6,03 Milliarden Euro.

320°/dpa

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