Preisexplosion
Was würde passieren, wenn Putin das Gas nach Deutschland abdreht? Auf welchen Komfort kann man verzichten, was ist notwendig? Der Deutsche Städtetag fordert eine ehrliche Debatte.
Gaskrise: „Druck auf die Stadtwerke nimmt jeden Tag zu“
Mit Blick auf die Gaskrise und steigende Energiepreise wächst in den Städten die Sorge, dass Stadtwerke ernsthaft in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten – und damit die Versorgungssicherheit gefährdet wäre. „Der Druck auf die Stadtwerke nimmt jedem Tag zu“, sagte der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetags, Helmut Dedy, der Deutschen Presse-Agentur. Würden die Stadtwerke die stark steigenden Preise weitergeben, wären viele Haushalte mit den Kosten überfordert. Wenn sie sie nicht weitergeben, dann könnten viele kommunale Versorger in die Insolvenz rutschen, warnte er. „Die Versorgung vieler Haushalte wäre nicht mehr sicher“.
Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck hatte ebenso vor einer „Preisexplosion“ beim Gas gewarnt. Er bezog sich dabei auf einen möglichen Totalausfall bei den russischen Gaslieferungen. Am 11. Juli beginnen jährliche Wartungsarbeiten an der Pipeline Nord Stream 1, die in der Regel zehn Tage dauern. Dann fließt kein Gas durch die Leitung. Die große Sorge ist, dass Russland nach der Wartung den Gashahn nicht wieder aufdreht. Die Gasflüsse aus Nord Stream 1 liegen schon jetzt nur bei 40 Prozent der Maximalleistung.
Die Bundesnetzagentur warnt auf ihrer Homepage: „Unternehmen und private Verbraucher müssen sich auf deutlich steigende Gaspreise einstellen.“ Es gelte, so viel Gas wie möglich einzusparen.
„Auf welchen Komfort können wir verzichten?“
Dedy forderte, Bund und Länder müssten verhindern, dass kommunale Versorger ernsthaft in Schwierigkeiten geraten. „Sonst wäre die Versorgungssicherheit in Deutschland in Gefahr.“ Es seien ganz überwiegend die Stadtwerke, von denen viele Haushalte Gas und Strom, Wasser oder Wärme beziehen. Der Handlungsdruck wachse mit jedem Tag.
Der Bund müsse umgehend die kommunalen Versorger unter den Schutzschirm für Unternehmen stellen. Er forderte außerdem, betroffenen Stadtwerken schnell Liquiditätshilfen über Bürgschaften und Kredite zu gewähren. Ein Insolvenzmoratorium muss zudem seiner Ansicht nach kurzfristig auf den Weg gebracht werden, um die Pflicht zu Insolvenzanträgen auszusetzen.
Auch Verkehrsbetriebe, kommunale Krankenhäuser, Schulen, Bäder und weitere öffentliche Einrichtungen bekämen die Folgen der Energiekrise zu spüren. Zudem forderte Dedy eine ehrliche Debatte: „Wir müssen darüber reden: Auf welchen Komfort können wir verzichten und was bleibt vor Ort notwendig? Da geht es etwa um Straßenbeleuchtung und Ampelschaltungen, um warmes Wasser in öffentlichen Gebäuden, um Museen und Sporthallen, um Lüfter in Schulen oder um Klimaanlagen.“
„Verdreifachung der Gaspreise ist möglich“
Im Falle eines russischen Gas-Lieferstopps würden Privathaushalte ebenso wie Krankenhäuser oder Pflegeheime besonders geschützt, erklärte der Präsident der Bundesnetzagentur, Klaus Müller. „Ich kann zusagen, dass wir alles tun, um zu vermeiden, dass Privathaushalte ohne Gas dastehen“, sagte Müller. „Wir haben aus der Corona-Krise gelernt, dass wir keine Versprechungen geben sollten, wenn wir nicht ganz sicher sind, dass wir sie halten können.“ Die Netzagentur sehe allerdings „kein Szenario, in dem gar kein Gas mehr nach Deutschland kommt“. Müssten Industriebetriebe von der Gasversorgung getrennt werden, „orientieren wir uns am betriebswirtschaftlichen Schaden, am volkswirtschaftlichen Schaden, an den sozialen Folgen und auch an den technischen Anforderungen des Gasnetzbetriebs“, sagte Müller.
Hamburgs Umweltsenator Jens Kerstan (Grüne) allerdings schließt für den Fall eines Gasnotstandes in der Hansestadt eine Begrenzung des Warmwassers für private Haushalte nicht aus. „In einer akuten Gasmangellage könnte warmes Wasser in einem Notfall nur zu bestimmten Tageszeiten zur Verfügung gestellt werden“, sagte Kerstan der «Welt am Sonntag». Auch eine generelle Senkung der maximalen Raumtemperatur im Fernwärmenetz käme in Betracht. Es werde in Hamburg schon aus technischen Gründen nicht überall möglich sein, im Fall einer Verknappung von Gas zwischen gewerblichen und privaten Kunden zu unterscheiden, sagte er der Zeitung.
Müller rief alle Haus- und Wohnungsbesitzer auf, ihre Gasbrennwertkessel und Heizkörper rasch zu überprüfen und effizient einstellen zu lassen. „Eine Wartung kann den Gasverbrauch um 10 bis 15 Prozent senken“, sagte er. „Das muss jetzt passieren und nicht erst im Herbst.“ Um Engpässe bei den Handwerkerterminen zu überwinden, rief er alle Handwerker auf, sich auf Heizung und Warmwasserversorgung zu konzentrieren. Außerdem solle in den Familien jetzt schon darüber geredet werden, „ob im Winter in jedem Raum die gewohnte Temperatur eingestellt sein muss“.
Müller warnte vor einer dramatischen Erhöhung der Gaspreise. „Viele Verbraucher werden schockiert sein, wenn sie Post von ihrem Energieversorger bekommen“, sagte er den Funke-Zeitungen. „Durch das, was Putin uns bei Nord Stream 1 beschert, ist eine Verdreifachung drin.“ Weiterhin mahnte er weitere Entlastungen der Bürger an. „Viele Menschen können selbst minimale zusätzliche Belastungen nicht stemmen.“
„Quasi wirtschaftskriegerische Auseinandersetzung“
Um das Risiko eines Ausbleibens des Gases einzuschätzen, müsste man in den Kopf des russischen Präsidenten Wladimir Putin gucken können, sagte Habeck am Samstagabend bei einer Veranstaltung der Wochenzeitung «Die Zeit» in Hamburg. „Aber man sieht ein Muster, und das kann zu diesem Szenario führen.“ Man habe es mit „einer quasi wirtschaftskriegerischen Auseinandersetzung“ zu tun.
Habeck sagte, das russische Kalkül sei es dabei, die Preise in Deutschland hochzuhalten, um damit „die Einheit und Solidarität des Landes zu zerstören“. Er verwies auf den Beginn der Schritte vom Stopp der Gaslieferungen nach Polen und Bulgarien bis zur aktuellen Lage.
Mit Energiesparkampagnen und der Verwendung von Kohle versuche Deutschland darauf zu reagieren. Auf die bisherige Verminderung russischen Gases könne logischerweise der nächste Schritt kommen.
„Sehr scharfes Schwert“
Mit Blick auf Versorger wie den in Not geratenen größten deutschen Gasimporteur Uniper sagte Habeck: Die Unternehmen, die sehr viel russisches Gas eingeführt haben, „die haben ein echtes Problem“. Sie müssten ihre Lieferverträge etwa an Stadtwerke erfüllen, allerdings müssten sie dafür viel teurer Gas woanders einkaufen.
Es gebe zwei Möglichkeiten: Entweder der Staat unterstütze die Unternehmen mit Steuergeld. „Oder man erlaubt den Unternehmen, die Preise weiterzugeben.“ Dies sei im Energiesicherungsgesetz vorgesehen, mit dem in den 70er Jahren der sogenannte autofreie Sonntag eingeführt worden sei. Gespräche über eine wohl nötige Änderung des Gesetzes liefen.
Ein Paragraf, der den Unternehmen erlauben würde, die Preise außerhalb der Vertragsbindung weiterzugeben, sei bisher aber nicht aktiviert worden. Denn dies sei „ein sehr, sehr scharfes Schwert“. Die Kunden des Unternehmens würden dann die volle Preisanpassung sofort bekommen. Die Regierung arbeite noch an anderen Möglichkeiten, „die vielleicht den Keil nicht so scharf in die Gesellschaft treiben“.