Synthetische Kraftstoffe

Eigentlich ist das Verbrenner-Aus in der EU so gut wie beschlossen. Nur die finale Zustimmung der EU-Staaten steht noch aus – für gewöhnlich eine Formalie. Doch nun macht Verkehrsminister Wissing das Fass wieder auf. Wackelt die EU-Einigung?

FDP stemmt sich gegen Verbrenner-Aus in der EU


Die FDP mit Verkehrsminister Volker Wissing stemmt sich gegen ein Aus für Neuwagen mit Verbrennungsmotor in der EU ab 2035. Wissing drohte am Dienstag damit, dass Deutschland einem auf EU-Ebene bereits erzielten Kompromiss doch nicht zustimmen könnte. Die FDP pocht darauf, dass Autos mit Verbrennungsmotor nach 2035 weiter zugelassen werden, wenn sie sogenannte E-Fuels tanken.

Der Minister betonte, es gebe einen klaren Arbeitsauftrag an die EU-Kommission, die Nutzung von klimafreundlichen E-Fuels in Pkw zu ermöglichen. Das gelte sowohl für die Bestandsflotte als auch für Verbrennungsmotoren, die nach 2035 neu zugelassen werden, sagte Wissing: „Bis heute kennen wir keine Vorschläge, sondern nur ablehnende Äußerungen von Kommissar Frans Timmermans.“ Sollte die Kommission keinen Vorschlag vorlegen, werde Deutschland bei der für kommende Woche Dienstag geplanten Abstimmung im Rat der EU-Staaten nicht zustimmen.

Wissing betonte, dass man nicht ein Verbrenner-Aus beschließen und dann auf das „Prinzip Hoffnung“ setzen werde. Wenn es unterschiedliche Auffassungen in der Ampel-Koalition gebe, müsse Deutschland sich enthalten, dies hätte „entsprechende Auswirkungen“.

Wackelt die Mehrheit für das Verbrenner-Aus?

Unterhändler der EU-Staaten und des Europaparlaments hatten sich im Oktober darauf verständigt, dass ab 2035 in der EU keine neuen Pkw mit Verbrenner mehr zugelassen werden dürfen. Das Europaparlament billigte die Einigung vor zwei Wochen. Die Zustimmung des Rats der EU-Staaten steht noch aus und ist für kommenden Dienstag angesetzt.

Eigentlich ist das eine Formalie. Ohne die deutsche Zustimmung könnte die erforderliche Mehrheit von mindestens 15 Ländern, die mindestens 65 Prozent der EU-Bevölkerung repräsentieren, aber wackeln – und die EU-Staaten müssten gegebenenfalls erneut mit dem Europaparlament über das Verbrenner-Aus verhandeln. Allerdings ist EU-Kreisen zufolge unklar, ob das Vorhaben ohne das deutsche Ja tatsächlich kippen würde.

Wissings Aussagen bergen Sprengstoff auch für die Ampel-Koalition in Berlin. Ein Sprecher von Umweltministerin Steffi Lemke (Grüne) sagte, Deutschland habe dem Verhandlungsergebnis mit dem Parlament bereits im November auf Botschafterebene zugestimmt. „Diese Zustimmung war mit den anderen Ressorts abgestimmt.“ Der Text, der nun bestätigt werden solle, sei unverändert. „Deutschland steht hier auch in europäischer Verantwortung.“

„Die sind doch nicht blöd“

Die FDP macht das Fass dennoch wieder auf, will nicht nur auf die Elektromobilität setzen und pocht auf Technologieoffenheit. Konkret geht es um „E-Fuels“, also synthetische Kraftstoffe, die mithilfe von Strom aus Wasserstoff und anderen Gasen hergestellt werden.

E-Fuels waren schon Knackpunkt, als die EU-Staaten im Juni 2022 um ihre Position zu dem Gesetzesvorschlag der EU-Kommission rangen. Auch damals stand eine Enthaltung Berlins bei der Abstimmung der EU-Länder im Raum, weil die Ampel uneins war. Nach öffentlich ausgetragener Streiterei signalisierte Berlin letztlich Zustimmung – allerdings unter einer bestimmten Bedingung: der Zusage der EU-Kommission, einen Vorschlag vorzulegen, wie nach 2035 nur mit klimafreundlichen Kraftstoffen wie E-Fuels betankte Fahrzeuge zugelassen werden können.

Genau daran hakt es nun. Der zuständige Kommissionsvize Frans Timmermans machte unlängst in der «Bild am Sonntag» deutlich, wie verhalten sein Appetit auf E-Fuels ist. Auf die Frage, was gegen Verbrenner spreche, die E-Fuels nutzten, und ob er Angst vor Innovation und Wettbewerb habe, sagte er: „Nein, ich habe keine Angst, aber wir dürfen unsere Autoindustrie nicht zwingen, gleichzeitig verschiedene Technologien zu entwickeln.“ Die EU müsse sagen, wo es langgeht. „USA und China machen auch keine E-Fuels – die sind doch nicht blöd.“


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Umweltverbände kritisierten Wissing. Der ökologische Verkehrsclub VCD sprach von einer rückwärtsgewandten Ideologie. Verkehrsexperte Michael Müller-Görnert sagte, es sei absurd, dass Wissing die EU zur Anerkennung von E-Fuel-Neuwagen als emissionsfrei nötigen wolle. Diese Autos brauchten ein Mehrfaches der Energie eines reinen Elektroantriebs.

„Minister Wissing reitet ein totes Pferd“, sagte Müller-Görnert. BUND-Verkehrsexperte Jens Hilgenberg erklärte, der Einsatz strombasierter Kraftstoffe im Pkw sei im Verhältnis zur direkten Stromnutzung teuer und ineffizient. Greenpeace wirft Wissing vor, den Ruf der Bundesregierung in der EU zu riskieren. „Was EU-Kommission und -Parlament beschlossen und selbst die Autohersteller längst akzeptiert haben, will Verkehrsminister Wissing nicht wahrhaben: E-Fuels sind Stromverschwender“, sagte Verkehrsexperte Benjamin Stephan.

Rückendeckung bekommt Wissing indes von der Industrie. Es sei wichtig, strombasierte Kraftstoffe für die Neuzulassung von Pkw und leichten Nutzfahrzeugen in der CO2-Flottenregulierung zu berücksichtigen, sagte der Vize-Hauptgeschäftsführer des Industrieverbandes BDI, Holger Lösch. Um Klimaziele im Verkehr 2030 zu erreichen, sei eine Beimischungsquote grüner Kraftstoffe von mindestens 22 Prozent nötig.

Einigung der Ampel-Koalition

In Deutschland unterdessen will die Ampel-Koalition den Weg frei machen für gesetzliche Änderungen zum Einsatz von E-Fuels in Autos. FDP-Fraktionschef Christian Dürr sagte der Deutschen Presse-Agentur am Dienstag in Berlin, die Entscheidung für klimaneutrale synthetische Kraftstoffe bedeute einen Durchbruch in Sachen Klimaschutz. „Dadurch können alle Verbrennungsmotoren diese Kraftstoffe in Reinform tanken. Künftig wird es in Deutschland also möglich sein, dass normale Verbrenner-Autos mit klimaneutralen Kraftstoffen betankt werden können. Bislang war das rechtlich nicht möglich.“

Die Grünen wollten nicht von einem Durchbruch sprechen. Grünen-Fraktionschefin Katharina Dröge sagte, die Koalition habe sich darauf verständigt, die Nutzung von Palmöl und fossilen Rohstoffen als „paraffinische Kraftstoffe“ final auszuschließen. Die Regulierung für E-Fuels in Deutschland werde angepasst.

Bisher sei der Einsatz von E-Fuels beziehungsweise paraffinischen Kraftstoffen bis zur Beimischungsgrenze von etwa 26 Prozent möglich. „Nun haben wir uns auf eine technische Anpassung verständigt, die das Inverkehrbringen in Reinform zulässt. Wichtig ist für uns, dass es eine begleitende Verbraucherinformation für die Fahrzeugverträglichkeit gibt.“

320°/dpa

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