Umbau der Industrie

Ein Tag nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts beginnt die Suche nach alternativen Finanzierungsmöglichkeiten. Ohne Einsparungen wird es wohl nicht gehen. Das UBA fordert den Abbau klimaschädlicher Subventionen. Ökonomen fordern eine Neuausrichtung der Klimapolitik.

Habeck: „Es muss dann eben anders gehen“


Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts will Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck weiter an der von ihm geplanten Förderung für den klimafreundlichen Umbau der deutschen Industrie festhalten. „Ja, okay, das Urteil des Verfassungsgerichtes sagt ‚So geht es nicht, wie ihr es euch gedacht habt‘. Aber es muss dann eben anders gehen“, sagte der Grünen-Politiker am Donnerstag in Berlin.

„Es kann nicht so sein, dass wir sagen ‚Dann machen wir es eben nicht‘. Jedenfalls ich bin nicht bereit, das zu akzeptieren und das einfach so hinzunehmen, dass dann diese Arbeitsplätze jetzt unter Druck geraten oder aus Deutschland verschwinden“, erklärte Habeck. „Also müssen wir das Geld an anderer Stelle finden beziehungsweise aufbringen.“

„Die Konsequenz des Urteils ist ein verschärftes Nachdenken“

Das Bundesverfassungsgericht hatte am Mittwoch untersagt, Corona-Kredite nachträglich für Klimaschutz und die Modernisierung der Industrie umzuschichten. Damit fehlen 60 Milliarden Euro im sogenannten Klima- und Transformationsfonds, einem vom Kernhaushalt wirtschaftlich getrennten Sondervermögen.

Der deutschen Industrie fehle jetzt eine große Summe, um die Transformation zu bewältigen, sagte Habeck. Es gehe unter anderem darum, die energieintensive Stahlproduktion und die chemische Industrie klimafreundlich zu machen und Solartechnologien zu fördern. „Natürlich gehen die CO2-Emissionen auch runter, wenn diese Industrien aus Deutschland und Europa verschwinden“, sagte Habeck. „Aber das kann ja nicht der Sinn von Politik sein. Das wäre ja geradezu zynisch, wenn man Klimaschutz mit der Vernichtung von Industrie gleichsetzt.“

Es gehe darum, das Wohlstandsversprechen für Deutschland durch den klimafreundlichen Umbau der Industrie zu erneuern. „Und insofern ist die Konsequenz des Urteils erst einmal ein verschärftes Nachdenken, wie wir dieses Versprechen einhalten können.“

Salzgitter: „Die Förderung ist nicht in Gefahr“

Habeck sagte, es seien mit der Brüsseler EU-Kommission, die Staatsbeihilfen genehmigen muss, mehrere sogenannte Klimaschutzverträge ausgehandelt worden. Der Minister nannte in diesem Zusammenhang die Papier-, Keramik-, Glas-, Stahl- und Aluminiumindustrie sowie den Wasserstoffhochlauf. Bei den Klimaschutzverträgen sichert der Staat hohe Anfangsinvestitionen für die Umstellung auf klimafreundlichere Produktionsweisen ab.

Es gehe bei der Transformation auch um viele Arbeitsplätze, so Habeck. Der Klima- und Transformationsfonds sei die Antwort gewesen auf das US-amerikanische Inflationsbekämpfungsgesetz, mit dem die US-Regierung milliardenschwere Investitionen in klimafreundliche Technologien fördere.

Der Stahlproduzent Salzgitter teilte unterdessen mit, dass das Urteil des Bundesverfassungsgerichts keine direkten Auswirkungen auf den laufenden Umbau des Stahlkochers habe. Die zugesagte Förderung für den Aufbau einer CO2-ärmeren Produktion stamme zwar aus dem Klima- und Transformationsfonds, sagte Vorstandschef Gunnar Groebler am Donnerstag. Es gebe aber bereits einen rechtskräftigen Förderbescheid, der trotz des Urteils weiter Bestand habe. „Die Förderung ist daher nicht in Gefahr.“ Das Land Niedersachsen habe ihm am Donnerstag zudem versichert, dass auch der Landesanteil nicht in Frage gestellt werde.

Bund und Land hatten dem Stahlkonzern insgesamt eine Milliarde Euro für den Bau einer ersten Anlage für CO2-ärmeren Stahl zugesagt. 700 Millionen Euro kommen vom Bund und sollten eigentlich aus dem Klima- und Transformationsfonds finanziert werden, weitere 300 Millionen steuert das Land bei. Insgesamt investiert das Unternehmen 2,2 bis 2,4 Milliarden Euro in den bereits laufenden Umbau, die erste Anlage soll 2026 in Betrieb gehen.

UBA: Klimaschädliche Subventionen abbauen

Der Präsident des Umweltbundesamts (UBA), Dirk Messner, hat die Bundesregierung aufgefordert, klimaschädliche Subventionen abzubauen. Es müssten jetzt schnell Antworten gefunden werden, wie der ökologische Umbau finanziert werden soll, wenn die Mittel aus dem Klimafonds wegfallen, sagte er der Deutschen Presse-Agentur am Donnerstag.

„Zusätzliche finanzielle Spielräume lassen sich gewinnen, wenn die Bundesregierung
umwelt- und klimaschädliche Subventionen jetzt schnell abschmilzt“, sagte er. Im Jahr 2018 hätten sich diese nach Berechnungen des UBA auf mindestens 65,4 Milliarden Euro belaufen.

Messner wies darauf hin, dass die G7-Staaten – also die sieben führenden Industrienationen – bereits im Mai 2016 vereinbart hätten, klimaschädliche Subventionen für Öl, Gas und Kohle bis 2025 abzubauen. „Jetzt könnte ein Fahrplan aufgestellt werden, wie die umweltschädlichen Subventionen in Deutschland, wie international bereits verabredet, abgebaut werden“, sagte der UBA-Präsident. „Ein Paradebeispiel dafür ist die Energiesteuervergünstigung von Diesel, die den Absatz von Dieselfahrzeugen fördert und den Umstieg auf die Elektromobilität behindert.“ Genauso solle das Dienstwagenprivileg fallen, das bisher vor allen Dingen den Verkauf großer Verbrennerautos fördere und oberen Einkommensgruppen zugutekomme.

Ökonomen: Klimapolitik neu ausrichten

Wirtschaftsexperten fordern als Konsequenz aus dem Haushaltsurteil des Bundesverfassungsgerichts eine Neuausrichtung der Klimapolitik. „Die Bundesregierung sollte diese Entscheidung als Chance begreifen, ihren Ansatz – vor allem in der Klimapolitik – grundsätzlich neu zu justieren“, sagte die Wirtschaftsweise Veronika Grimm am Mittwoch dem «Spiegel». Bislang habe die Ampel in der Klimapolitik vor allem auf das Ordnungsrecht gesetzt und dann Förderprogramme aufgelegt, um die Härten des Ordnungsrechts auszugleichen. Das sei nicht sinnvoll und auch nicht finanzierbar. Stattdessen müsse der CO2-Preis erhöht und ein Klimageld an die Bürgerinnen und Bürger ausgezahlt werden.

Mit Ordnungsrecht sind vor allem Vorgaben und Verbote gemeint. Auch der ehemalige Wirtschaftsweise Lars Feld betonte, dass man sich nach dem Urteil fragen müsse, ob Ordnungsrecht und umfangreiche Subventionen die Leitinstrumente des Klimaschutzes sein sollten. Feld, der persönlicher Beauftragter des Bundesfinanzministers für die gesamtwirtschaftliche Entwicklung ist, sprach sich im ZDF-«heute journal» stattdessen für eine „ordentliche“ CO2-Bepreisung und einen internationalen Mindestpreis aus. „Ansonsten werden wir nicht weiterkommen“, sagte Feld. Das Urteil aus Karlsruhe biete die Möglichkeit, die Klimapolitik vom Kopf auf die Füße zu stellen.

Gleichzeitig müsse man bei den Ausgaben Prioritäten setzen. Vieles, was in der günstigen Wachstumssituation von 2010 bis 2019 „nice to have“ gewesen sei, müsse hinterfragt werden.

320°/dpa/re

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