Konjunktur

Der deutschen Industrie fehlen Aufträge. „Kaum eine Branche bleibt verschont“, sagt Ifo-Experte Klaus Wohlrabe. Alarmierende Zahlen kommen auch aus der norddeutschen Metall- und Elektroindustrie.

Arbeitgeberpräsident: „Ein Alarmsignal erster Güte“


Immer mehr deutsche Unternehmen leiden unter Auftragsmangel. In der Industrie beklagten dies im April 39,5 Prozent der Betriebe, wie das Münchner Ifo-Institut am Mittwoch mitteilte. Das waren 2,6 Prozentpunkte mehr als im Januar.

Im Dienstleistungssektor stieg der Anteil leicht auf 32,4 Prozent. „Der Mangel an Aufträgen hemmt die konjunkturelle Entwicklung in Deutschland“, warnt Ifo-Experte Klaus Wohlrabe. „Kaum eine Branche bleibt verschont.“

In der Industrie waren besonders die Textilhersteller betroffen, von denen 61,5 Prozent über fehlende Aufträge klagten. Es folgen die Papierhersteller mit 53,9 Prozent. Insgesamt waren laut Ifo die energieintensiven Branchen besonders betroffen.

In der Metallerzeugung und -bearbeitung seien es 50,6 Prozent und in der chemischen Industrie 46,6 Prozent. Vergleichsweise glimpflich kamen dagegen die Hersteller von Nahrungs- und Futtermitteln davon, und auch die Automobilindustrie liegt mit einem Anteil von 29,2 Prozent deutlich über dem Durchschnitt.

Mehr Unternehmen planen Produktionsverlagerung

Auch im Dienstleistungssektor ist die Spannweite groß. Am härtesten trifft es die Personaldienstleister, von denen 63,9 Prozent über Auftragsmangel klagen. „Die generell schwache wirtschaftliche Entwicklung senkt die Nachfrage nach Leiharbeitern“, sagte Wohlrabe. Deutlich weniger Probleme haben dagegen Rechtsanwälte, Steuerberater und Wirtschaftsprüfer.

Alarmierende Zahlen kommen aus der norddeutschen Metall- und
Elektroindustrie: Laut der Frühjahrs-Konjunkturumfrage der Arbeitgeberverbände plant inzwischen jedes fünfte Unternehmen, seine Produktion ganz oder teilweise ins Ausland zu verlagern. „Das ist einer der höchsten je in unseren Konjunkturumfragen gemessenen Werte und offenbart auf ganz dramatische Weise: Viel zu hohe Arbeits- und Energiekosten sowie die weiter wuchernden Bürokratielasten treiben die Unternehmen aus dem Land, vernichten Arbeitsplätze und Wertschöpfung in Norddeutschland“, sagte der Präsident des Arbeitgeberpräsidenten Nordmetall, Folkmar Ukena, der Deutschen Presse-Agentur.

An der Frühjahrsumfrage von Nordmetall, AGV Nord und den Arbeitgeberverbänden Oldenburg, Ostfriesland und Bremen hatten sich den Angaben zufolge im Februar und März 141 Unternehmen mit rund 95.000 Beschäftigten beteiligt. Die befragten Unternehmen haben ihren Sitz in Hamburg, Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern, dem nordwestlichen Niedersachsen und Bremen.

Laut Umfrage denken vor allem Unternehmen aus dem Straßenfahrzeugbau, dem Luft- und Raumfahrzeugbau sowie Gießereien über Produktionsverlagerungen ins Ausland nach. Grund dafür seien die immer schwieriger werdenden Arbeitsbedingungen. So klagen 80 Prozent der Unternehmen über zu hohe Arbeitskosten, 72 Prozent über zu hohe Energiekosten und 70 Prozent über zu viel Bürokratie. 60 Prozent aller norddeutschen Metall- und Elektrounternehmen bewerteten wiederum den Arbeitskräftemangel als erschwerenden Wirtschaftsfaktor, etwas mehr als die Hälfte neue Gesetze und die internationale Politik.

Grafik: picture alliance/dpa-Infografik

„Wenn mit 71 Prozent fast drei Viertel der Firmenleitungen angeben, dass sich die Attraktivität des Wirtschaftsstandorts Deutschland in den letzten sechs Monaten weiter verschlechtert hat, ist das ein Alarmsignal erster Güte“, sagte Ukena. Dementsprechend wollten nur noch 22 Prozent der Unternehmen ihre Investitionen im Vergleich zum Vorjahr erhöhen, während 31 Prozent sie einschränken und 47 Prozent sie konstant halten wollten.

Verbessert hat sich aus Sicht der Unternehmen dagegen die Verfügbarkeit von Arbeitskräften. Hätten vor eineinhalb Jahren noch 84 Prozent der Unternehmen eine schlechte oder unbefriedigende Verfügbarkeit beklagt, seien es jetzt nur noch 63 Prozent. Bei der Verfügbarkeit von Auszubildenden sei der Wert von 74 auf 63 Prozent gesunken.

„Auch die norddeutsche Metall- und Elektroindustrie braucht dringend günstigere Energiepreise und eine Entlastungsoffensive in Sachen Bürokratie“, sagte Ukena. Hier passiere nach wie vor viel zu wenig – egal ob in Brüssel, Berlin oder den norddeutschen Landeshauptstädten. Überflüssige Schriftformerfordernisse müssten abgeschafft, die Digitalisierung der Ämter bei der Fachkräftezuwanderung oder die Reduzierung des Meldeumfangs bei Unternehmensgründungen endlich durchgesetzt werden. „Nur so werden wir weiter eine starke Metall- und Elektroindustrie im Norden bleiben können“, sagte Ukena.

Gute Verbraucherstimmung

Die Stimmung der Verbraucher in Deutschland ist unterdessen so gut wie lange nicht mehr. Wie aus dem am Montag veröffentlichten Konsumbarometer des Handelsverbands Deutschland (HDE) hervorgeht, ist die Stimmung den vierten Monat in Folge gestiegen und liegt auf dem höchsten Stand seit Ende 2021.

Aus Sicht des Branchenverbands könnte der wachsende Optimismus der Verbraucherinnen und Verbraucher in den kommenden Monaten zu einer Belebung des privaten Konsums führen. Positiv wirkt sich vor allem die sinkende Inflationsrate aus. Ein weiterer Grund ist, dass Bundesregierung und Unternehmen zuletzt etwas optimistischer auf die wirtschaftliche Entwicklung blickten.

Frei von Skepsis sind die Menschen in Deutschland allerdings nicht. So ist die Sparneigung nach wie vor hoch. Mit Blick auf die konjunkturelle Entwicklung sind die Befragten zwar etwas zuversichtlicher als zuletzt, insgesamt bleibt der Blick auf die wirtschaftliche Entwicklung aber verhalten.

Im vergangenen Jahr war das Konsumklima stark eingebrochen. Das HDE-Barometer fiel auf einen Wert, der unter dem des ersten Konjunkturzyklus lag. Konjunkturexperten sehen den Grund dafür vor allem im Ukraine-Krieg und seinen anhaltenden wirtschaftlichen Folgen.

320°/dpa/re

Mehr zum Thema
„Wirtschaftsweise“ senken Konjunkturprognose
Deutlicher Preisanstieg für Altpapier
„Wir wollen gute Rahmenbedingungen schaffen“
BDE fordert EU-Agentur für Kreislaufwirtschaft
Recyclingtechnik: Weniger Aufträge, weniger Umsatz