Flutkatastrophe

Kaum noch Regen sagt der Wetterdienst für Deutschland voraus. Jetzt, da die akute Gefahr in den Hochwassergebieten vorerst gebannt ist, beginnt die Suche nach möglichen Schuldigen. Ist zu spät evakuiert worden? Und wenn ja, wer trägt dafür die Verantwortung?

Die Suche nach den Schuldigen


Mit dem Rückgang der akuten Gefahr in den Hochwassergebieten gewinnt die Debatte über Versäumnisse beim Schutz der Bevölkerung an Schärfe. Eine britische Wissenschaftlerin warf den deutschen Behörden „monumentales“ System-Versagen bei der Flutkatastrophe vor. Teile der Opposition im Bundestag richteten heftige Kritik gegen Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU), dem das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) zugeordnet ist.

Dieser machte sich am Montag unter anderem an der zwischenzeitlich von einem Dammbruch bedrohten Steinbachtalsperre in Nordrhein-Westfalen ein Bild der Schäden. Dort entspannte sich die Gefahrenlage ebenso wie in den anderen Hochwassergebieten im Westen Deutschlands und etwa in Bayern. Gleichzeitig stieg die Zahl der Todesopfer am Montag auf mindestens 164: Aus Rheinland-Pfalz wurden 117 und aus NRW 47 Unwetter-Tote bestätigt. In beiden Bundesländern wurde nicht ausgeschlossen, dass noch weitere Opfer gefunden werden könnten.

Für die Überlebenden der Fluten gilt es weiter, Schlamm und Trümmer aus ihren Häusern und von den Straßen beiseitezuschaffen. Vielerorts ist die Infrastruktur etwa mit Brücken, Gleisen, Mobilfunkmasten und Trinkwasserversorgung zerstört. Im stark zerstörten Bad Neuenahr-Ahrweiler etwa holen Helfer des Technischen Hilfswerks (THW) Wasser aus dem Fluss, in riesigen Trinkwasserbecken wird das schmutzige Flusswasser dann stufenweise gereinigt. Geplant sei, dass das produzierte Trinkwasser mit Fahrzeugen auch in andere betroffene Orte gebracht wird.

Die ebenfalls in der Region gelegene Stadt Erftstadt informierte, dass auf der überspülten Bundesstraße 265 alle vom Hochwasser eingeschlossenen Fahrzeuge geborgen worden seien. Dabei seien glücklicherweise keine Toten entdeckt worden. Mehr als 100 Fahrzeuge waren dort eingeschlossen; der Rhein-Erft-Kreis hatte erklärt, es sei unklar, ob es alle Insassen rechtzeitig herausgeschafft hätten, als sie von den Wassermassen überrascht wurden.

Auch in Teilen Bayerns waren viele helfende Hände mit Aufräumarbeiten beschäftigt. Nach heftigen Unwettern mit Starkregen waren manche Orte in der beliebten Urlaubsregion rund um Watzmann und Königssee von Wasserfluten und Erdrutschen zerstört worden. Glimpflich verlief das Hochwasser in Passau, wo man sich auf Schlimmeres eingestellt hatte – Donau und Inn stiegen letztlich nicht so stark an. Auch Sachsen kam diesmal vergleichsweise gut davon. Nach Starkregen und Überflutungen rechnete die Landesregierung aber auch hier mit Schäden in Millionenhöhe.

Doch die aktuelle Wetterberuhigung in Deutschland könnte zum Wochenende schon wieder vorbei sein. Die Meteorologen rechnen mit neuen Gewittern, die sich von Südwesten her ausbreiten.

150 Warnmeldungen

Aus Sicht der Hydrologin Hannah Cloke von der englischen Universität Reading ist in Deutschland bei der Warnung der Bevölkerung viel schiefgegangen. Klare Hinweise, die im Rahmen des europäischen Frühwarnsystems EFAS (European Flood Awareness System, auf Deutsch: Europäisches Hochwasseraufklärungssystem) bereits vier Tage vor den ersten Überschwemmungen herausgegeben worden seien, seien offenbar nicht bei den Leuten angekommen, sagte sie der Zeitung «Sunday Times».

Grundsätzlich ist für den Bevölkerungsschutz im Kriegsfall das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) zuständig, das dem Bundesinnenministerium untersteht. Wenn aber Überschwemmungen drohen oder der Wald brennt, wenn giftige Dämpfe aus einer Industrieanlage entweichen oder eine Fliegerbombe aus dem Zweiten Weltkrieg entschärft wird, sind Länder und Kommunen verantwortlich. Wie sie diese Aufgaben im Einzelnen erfüllen, regeln die Landesgesetze zum Brand- und Katastrophenschutz. Hier gibt es zum Teil Unterschiede.

Generell gilt, dass die Länder Unterstützung vom Bund erhalten können, etwa von der Bundespolizei, von der Bundeswehr oder vom Technischen Hilfswerk (THW). Das BBK stellt den Ländern und Kommunen zudem mit der Warn-App Nina eine Plattform zur Verfügung, mit der sie Warnmeldungen an die Bürger in ihrer Region schicken können. Die Informationen über heraufziehende Unwetter und Hochwassergefahren erhalten alle Landräte und Bürgermeister über den Deutschen Wetterdienst, der dem Bundesverkehrsministerium untersteht. Auf dieser Grundlage müssen die Verantwortlichen in Kreisen und kreisfreien Städten als Untere Katastrophenschutzbehörden dann entscheiden, wann, auf welchem Wege und mit welchen Handlungsempfehlungen sie die Bevölkerung auf Gefahren hinweisen.

Der Präsident des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK), Armin Schuster, wies am Montag Kritik am Warnsystem seiner Behörde zurück. „Ich kann Ihnen sagen: Unser Warnsystem hat funktioniert in jedem einzelnen Fall.“ Der Deutsche Wetterdienst, die Hochwasserzentrale und die Kreisbehörden hätten intensiv davon Gebrauch gemacht. 150 Warnmeldungen seien über das System geschickt worden – an Fernseh- und Rundfunkanstalten, an die Warn-Apps.

„Worauf ich keinen Einfluss habe, ist, wie vor Ort mit diesen Warnungen umgegangen wird. Dieses Durchgriffsrecht hat eine Bundesbehörde nicht im Katastrophenfall. Es führen die Länder und das ist, glaube ich, auch gut so. Und es führen die Landkreise. Auch das ist richtig“, sagte Schuster.

Erste Rücktrittsforderungen

Seehofer, der nach seinem Besuch an der Steinbachtalsperre nach Bad Neuenahr-Ahrweiler weitergereist war, wies Kritik am Warnsystem des Katastrophenschutzes ebenfalls zurück. Die Dinge in Deutschland hätten gut funktioniert, sagte er in der Stadt im Norden von Rheinland-Pfalz. „Ich schließe nicht aus, dass wir das ein oder andere verbessern müssen.“ Aber die Warnmeldungen hätten ohne jedes technische Problem funktioniert.

Die Kanzlerkandidatin der Grünen, Annalena Baerbock, forderte eine Neuformation des Katastrophenschutzes mit mehr Verantwortung für den Bund. Diese Notwendigkeit zeichne sich seit längerem ab. „Notsituationen wie diese Flut oder auch Waldbrände häufen sich und brechen oft an vielen Orten zur selben Zeit aus“, sagte sie in einem am Montagmorgen veröffentlichten «Spiegel»-Interview. „Hilfe funktioniert nur, wenn alles ineinander greift. Dafür braucht es eine Instanz, die alle Kräfte bündelt, die schnellstmöglich aus ganz Deutschland oder EU-Nachbarstaaten Hubschrauber oder Spezialgeräte zusammenzieht.“

Zuvor war teils heftige Kritik unter anderem aus der Opposition im Bundestag gekommen. FDP-Bundestagsfraktionsvize Michael Theurer sah schwere Versäumnisse. „Die rechtzeitigen Warnungen der Meteorologen sind weder von den Behörden noch vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk hinreichend an die Bürgerinnen und Bürger kommuniziert worden“, sagte er der Deutschen Presse-Agentur. „Es bietet sich das Bild eines erheblichen Systemversagens, für das der Bundesinnenminister Seehofer unmittelbar die persönliche Verantwortung trägt.“

320°/dpa/sk

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