Ein Jahr danach

Vor einem Jahr gingen die letzten Atomkraftwerke vom Netz. Damals gab es viele Warnungen vor steigenden Strompreisen. Das Gegenteil sei eingetreten, sagt Wirtschaftsminister Habeck. Die Industrie sieht das anders.

Habeck: Strompreise nach Atomausstieg gefallen


Ein Jahr nach dem deutschen Atomausstieg hat Wirtschaftsminister Robert Habeck die Entscheidung zum Abschalten der letzten Meiler verteidigt und auf sinkende Strompreise verwiesen. Alle Schreckensszenarien, die an die Wand gemalt worden seien, seien nicht eingetreten, sagte der Grünen-Politiker den Zeitungen der Funke Mediengruppe (Montag). „Wir sehen heute, dass die Stromversorgung weiter sicher ist, die Strompreise auch nach dem Atomausstieg gefallen sind und die CO2-Emissionen ebenfalls runtergehen.“

Natürlich sei die Lage nach Ausbruch des russischen Angriffskriegs angespannt gewesen, sagte Habeck. „Wir mussten sehr viele Maßnahmen in kürzester Zeit umsetzen, um die Energieversorgung zu stabilisieren und die enormen einseitigen Abhängigkeiten, die Deutschland hatte, zu reduzieren. Das ist gelungen: Wir sind sicher durch zwei Winter gekommen.“

Im Strombereich zeige sich, dass die Reformen gegriffen hätten. „Der Ausbau der erneuerbaren Energien nimmt richtig Fahrt auf, wir vereinfachen und beschleunigen Genehmigungsverfahren, die Preise an den Strombörsen sind stark gefallen. Seit dem Atomausstieg vor einem Jahr um 40 Prozent.“ Gleichzeitig liefen Kohlekraftwerke so wenig wie seit Jahrzehnten nicht mehr.

Grafik: picture alliance/dpa-Infografik

Deutschland verfüge über ausreichend eigene Kapazitäten, um den Strombedarf im Inland zu decken, sagte Habeck. „Gleichwohl nehmen wir am europäischen Strombinnenmarkt teil.“ Zwei Prozent des Bruttostromverbrauchs seien im vergangenen Jahr durch Importe gedeckt worden, davon aber nur rund ein Viertel Atomstrom aus Frankreich.

Zuvor hatte der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) die anhaltend hohen Strompreise beklagt. DIHK-Präsident Peter Adrian sagte ebenfalls den Zeitungen der Funke Mediengruppe, die deutschen Börsenstrompreise seien immer noch doppelt so hoch wie 2019. Allerdings seien die Preise im vergangenen Jahr gesunken. Zusammen mit Steuern, Netzentgelten und Umlagen seien die Kosten teilweise sogar viermal so hoch wie in anderen Ländern, sagte Adrian.

Strompreis günstiger als 2019

Nach Angaben des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft lag der durchschnittliche Strompreis für die Industrie bei Neuverträgen Anfang 2024 bei 17,65 Cent pro Kilowattstunde, 2019 waren es demnach 18,43 Cent. Rund ein Drittel davon entfiel damals noch auf die EEG-Umlage, die inzwischen entfällt. In der Energiekrise nach dem russischen Angriff auf die Ukraine im Jahr 2020 war der Preis auf 43,20 Cent hochgeschnellt.

Auf die Frage, ob der Atomausstieg unumkehrbar sei, sagte Habeck: „Wir haben am 15. April 2023 das vollzogen, was die schwarz-gelbe Koalition 2011 beschlossen hat, und daher die letzten deutschen Kernkraftwerke endgültig abgeschaltet.“ Inzwischen sei klar, dass gerade die Regionen in Deutschland mit vielen erneuerbaren Energien echte Standortvorteile hätten. „Wenn manche dennoch auf die Rückkehr zu Atomenergie setzen, sollte man registrieren, dass international Atomenergie nicht wettbewerbsfähig ist und Kosten aktueller Projekte explodieren.“

Zudem sei die Endlagerfrage in Deutschland nach wie vor ungelöst. „Es wäre daher besser, nicht permanent zu hinterfragen, worauf sich das Land einmal geeinigt hat, sondern sich auf das Lösen aktueller Probleme zu fokussieren“, so Habeck. Es brauche Verlässlichkeit, auch für Investitionssicherheit.

320°/dpa

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