Zirkuläres Bauen

Hat ReUse das Potenzial, markttauglich zu werden? Wissenschaftler testen das jetzt. Sie bauen eine Büroeinheit, die fast ausschließlich aus wiederverwendeten Materialien besteht. Dabei wird auch der Rückbau mitberücksichtigt.

Eine Büroeinheit aus wiederverwendeten Materialien


Wer die neue Büroeinheit besichtigen möchte, muss im Sommer in die Schweiz fahren, genauer gesagt nach Dübendorf. Dort steht NEST, das modulare Forschungs- und Innovationsgebäude der beiden Forschungsinstitute Empa und Eawag. Auf der untersten Plattform des Gebäudes wird eine Büroeinheit errichtet, für die größtenteils wiederverwendete Materialien verwendet werden. Im Sommer soll die Büroeinheit fertiggestellt sein.

Wie Empa erklärt, soll die Büroeinheit namens „Sprint“ neue Maßstäbe für ein kreislaufgerechtes Bauen setzen. Das Projekt vereine Partner aus Forschung, Wirtschaft und öffentlicher Hand und konzentriere sich darauf, möglichst allgemeingültige Lösungen zu finden und damit die Wiederverwendung von Baumaterialien zu vereinfachen. „Erstmals vereint die Empa den Ansatz der Wiederverwendung und die Marktanforderungen des schnellen und flexiblen Bauens. Mit der neuen Unit ‚Sprint‘ wollen wir zeigen, dass diese Bedürfnisse zusammen erfüllt werden können“, so Enrico Marchesi, Innovation Manager und Projektverantwortlicher seitens NEST.

Bereits in der Planungsphase der neuen Unit hätten die Projektpartner besonderes Augenmerk auf den Re-Use-Prozess und seine Herausforderungen gelegt. So stellte sich am Anfang unter anderem die Frage, welchen Mehrwert wiederverwendetes Material bietet und ob es günstiger ist als Neumaterial. „Das Wiederverwenden von Materialien wird oft mit tieferen Kosten assoziiert. Doch der Mehrwert liegt in einem anderen Bereich: Re-Use ist nachhaltiger“, erklärt Oliver Seidel, Architekt und Partner bei der baubüro in situ ag weiss. In puncto Qualität gebe es keine Einbußen. „Im Gegenteil: Je nach Material kann man sogar von einem Qualitätszuwachs sprechen, zum Beispiel bei einem alten Holzparkettboden, der eine zusätzliche ästhetische Komponente erhält“, so Seidel.

Dadurch, dass die Detailstudie bereits im Vorprojekt – also früher als nach den standardmäßigen Planungsphasen – beachtet werden muss, werde der Bauprozess dynamischer und zeitlich flexibler, erklärt Empa. So könne beispielsweise parallel das Vorhaben definiert und gleichzeitig gebrauchte Materialien gesucht und auf ihre Einsatzfähigkeit geprüft werden.

Design for Disassembly

Beim Design der neuen Büroeinheit wird der Rückbau bereits mitberücksichtigt. Durch den sogenannten „Design for Disassembly“-Ansatz würden zukünftige Änderungen und Demontagen zur Rückgewinnung von Systemen, Komponenten und Materialien erleichtert und so sicherstellt, dass Gebäude am Ende ihrer Lebensdauer so effizient wie möglich in einen weiteren Zyklus überführt werden können. Nicht alle heute verbauten Gebäudekomponenten und Materialien lassen sich einfach rückbauen. Industriebauten eignen sich aufgrund ihrer einfachen Bauart besser für den Rückbau als beispielsweise Wohnbauten.

„Umso wichtiger ist es, dass wir die heutigen Gebäude so bauen, dass deren Bestandteile wieder in Kreisläufe zurückgeführt werden können“, betont Kerstin Müller, Architektin bei der baubüro in situ ag und Geschäftsführerin der Zirkular GmbH. Sie sieht im Re-Use auch eine Chance für die Wertschöpfungs- und Lieferketten: Beim Wiederverwenden von Bauteilen und Materialien könnten lokal Arbeitsplätze geschaffen und ökologische wie baukulturelle Werte erhalten werden.

In dieser Woche findet der Spatenstich für die neue Büroeinheit statt. Während des Baus und der späteren Nutzung von „Sprint“ werden die Chancen und Herausforderungen des Re-Use-Prozesses fortlaufend dokumentiert und zusammengestellt, verspricht Empa. Das Ziel sei, Re-Use als Bauweise markttauglicher zu machen.

 

© 320° | 13.04.2021

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