Strukturkrise

Die Stahlindustrie gibt trotz leichter Konjunkturerholung noch keine Entwarnung für die Lage in Deutschland. Noch immer seien die strukturellen Probleme der globalen Stahlindustrie ungelöst. Gemeint sind vor allem Chinas Überkapazitäten.

Stahlindustrie gibt keine Entwarnung


Die Stahlmengenkonjunktur in Deutschland hat sich in den vergangenen Monaten stabilisiert. Das teilt die Wirtschaftsvereinigung Stahl (WV Stahl) mit. Insbesondere die Auftragseingänge seien gestiegen. Zudem befänden sich die stahlverarbeitenden Branchen in Deutschland ungeachtet der schwachen Weltkonjunktur in einer robusten Verfassung.

Die WV Stahl rechnet deshalb mit einer leichten Zunahme der Rohstahlproduktion im laufenden Jahr. Der Prognose zufolge soll die Produktion um rund 1 Prozent auf 42,7 Millionen Tonnen zulegen. Allerdings bleibe es dabei, dass sich aus einer hohen Auslastung noch keine Rückschlüsse auf die unmittelbare wirtschaftliche Lage ziehen lassen, und sich die Stahlindustrie noch nicht in einem störungsfreien konjunkturellen Umfeld bewege.

Noch keine Entwarnung

Die leichten konjunkturellen Erholungstendenzen stellen aus Sicht der Wirtschaftsvereinigung Stahl somit keine Entwarnung für die „unverändert bedrohliche Lage der Stahlindustrie in Deutschland“ dar. Denn noch immer sei die globale Strukturkrise beim Stahl ungelöst.

„Dies zeigt sich insbesondere an der niedrigen weltweiten Kapazitätsauslastung“, erklärte Hans Jürgen Kerkhoff, Präsident der Wirtschaftsvereinigung Stahl. Diese habe sich trotz der konjunkturellen Stabilisierung im vergangenen Jahr bei 71 Prozent und damit unverändert nahe historischen Tiefständen befunden. Auch für 2017 erwartet der Verbandspräsident keine wesentliche Besserung, da die globale Stahlnachfrage nur schwach zulegen dürfte und ein spürbarer Abbau von Kapazitäten auf globaler Ebene nicht in Sicht sei.


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Im Mittelpunkt der Strukturkrise beim Stahl steht weiterhin China: Die chinesische Regierung habe zwar ihre Bemühungen intensiviert. Allerdings dürfte sich der überwiegende Teil des Kapazitätsabbaus im Jahr 2016 auf Anlagen beziehen, die ohnehin bereits stillgelegt waren, vermuten die Stahlexperten.

Zudem würden die chinesischen Überkapazitäten mit rund 360 Millionen Tonnen weiterhin auf einem extrem hohen Niveau bleiben. Dies erkläre auch, warum die chinesischen Exporte trotz gewachsenen internationalen Drucks im vergangenen Jahr kaum gesunken seien.

Laut Einschätzung der Wirtschaftsvereinigung Stahl werden die Überkapazitäten in der chinesischen Stahlindustrie auch 2020 noch deutlich über der 300-Millionen-Tonnen-Marke liegen. Besonders kritisch sei, dass China keine Rückführung der hohen Nettoexporte von gegenwärtig knapp 100 Millionen Tonnen plane. „Das G20-Forum zu Stahlüberkapazitäten muss konkrete Schritte vereinbaren, die zu einer größeren Fairness im internationalen Wettbewerb beitragen“, fordert Kerkhoff. „Hier könnte unter deutscher Präsidentschaft ein Schritt nach vorn gemacht werden.“

Neue US-Regierung verstärkt Protektionismus

Als ein weiteres zentrales Risiko für die deutsche Stahlkonjunktur sieht die Wirtschaftsvereinigung darin, dass sich die protektionistischen Tendenzen auf den globalen Stahlmärkten noch weiter ausbreiten. Bereits in den vergangenen Jahren haben viele Länder Barrieren im Stahlbereich aufgebaut. Aktuell stehen dabei die USA besonders im Fokus. Denn Deutschlands Außenhandel ist mit den USA im Stahlbereich besonders intensiv verflochten.

Die USA stehen laut WV Stahl mit 700.000 Tonnen für rund ein Viertel der deutschen Stahlexporte außerhalb der EU. Zudem seien sie hinter Großbritannien der größte Abnehmer von stahlintensiven Gütern aus Deutschland. Diese indirekten Stahlexporte würden mit 2,5 Millionen Tonnen die direkten Stahleinlieferungen um mehr als das Dreifache übersteigen.

Hinzu komme, dass die Vereinigten Staaten mit 31 Millionen Tonnen der mit Abstand größte Stahlimporteur in der Welt seien. Rund 30 Prozent der Einfuhren würden dabei auf Lieferungen aus dem NAFTA-Raum beziehungsweise aus Asien entfallen. Eine handelspolitische Konfrontation gerade mit diesen Ländern sei daher mit der Gefahr erheblicher Handelsumlenkung in die offenen und ungeschützten Märkte verbunden, befürchtet die Wirtschaftsvereinigung Stahl.

Für die EU werde es also Zeit, um ihr eigenes handelspolitisches Instrumentarium zu schärfen, um nicht der größte Leidtragende einer solchen Entwicklung zu werden. Die vorgesehene Modernisierung der EU-Handelsschutzinstrumente muss laut Kerkhoff noch beherzter verfolgt werden. So müssten beispielsweise die Grenzwerte für die Aussetzung der „Lesser Duty Rule“ den industriellen Realitäten angepasst werden.

Weitere Belastungen durch Emissionsrechtehandel vermeiden

Durch den Regierungswechsel in den USA könnte auch ein globaler Kohlenstoffmarkt mit gleichen Bedingungen für alle Stahlerzeuger noch weiter in die Ferne rücken, befürchtet Kerkhoff. Dem müsse die europäische Politik Rechnung tragen und bei der gegenwärtig in Brüssel beratenen Überarbeitung des Emissionsrechtehandels für die Zeit ab 2021 weitere Belastungen für die heimische Industrie vermeiden. Die Bundesregierung vertrete laut Kerkhoff zu Recht in ihrem Klimaschutzplan die Position, dass die 10 Prozent effizientesten Anlagen eine zu 100 Prozent freie Zuteilung von Zertifikaten erhalten sollen, ohne weitere Kürzungen.

Zu begrüßen sei auch, dass die Bundesregierung eine weitere Kompensation emissionshandelsbedingter Strompreissteigerungen unterstütze. Nun kommt es für Kerkhoff darauf an, dass sie diese Position Ende Februar im EU-Umweltrat auch umsetzt. Dabei dürften keine Kompromisse zu Lasten der Industrie gemacht werden. Nach wie vor sei nicht absehbar, dass die unerreichbaren Benchmarks für die Stahlindustrie korrigiert und sie bei fehlenden technischen Potenzialen keinen Kürzungen unterzogen werden.

Dies ist in den Augen Kerkhoffs aber eine entscheidende Voraussetzung, damit die Stahlindustrie gegenüber internationalen Wettbewerbern weiter bestehen kann. „Andernfalls müssten selbst die effizientesten Anlagen massive Zusatzkosten tragen.“

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