Folgen für Recycler

Noch steht die Entscheidung aus, ob Titandioxid unter Verdacht gestellt wird, krebserzeugend zu sein. Die Folgen für Recycler und Entsorger wären beträchtlich. Betroffen wäre auch die Altholzbranche.

Die Furcht vor Titandioxid


Ist Titandioxid nun „vermutlich krebserzeugend“ oder nicht? Darüber ist auf EU-Ebene noch immer keine Entscheidung gefallen. „Das ist eine gute Neuigkeit“, sagte BDE-Referentin Annette Ochs, bevor sie ihren Vortrag beim Altholztag des Bundesverbands der Altholzaufbereiter & -verwerter (BAV) am vergangenen Donnerstag begann. „Denn das bedeutet, dass noch alles offen ist, und wir die Möglichkeit haben, mit den Entscheidungsträgern weiter zu diskutieren.“

In ihrem Vortrag skizzierte die BDE-Fachreferentin die möglichen Konsequenzen, sollte es zu einer solchen Einstufung kommen: „Titandioxid wird sehr weitreichend eingesetzt – kommt die Entscheidung und Einstufung als gesundheitlich gefährdend, wären sehr viele Industrien davon betroffen“, sagte sie.

Denn praktisch jeder Industriebereich setzt Titandioxid ein – „und das nicht in unerheblicher Menge“, schilderte Ochs. Aber auch die Recyclingindustrie wäre davon betroffen, nicht zuletzt die Altholverwerter und -aufbereiter. Holzanstriche beispielsweise könnten bis zu 20 Prozent dieses Stoffs enthalten.

Unklar, um welche Altholzmengen es gehen würde

Würde Titandioxid als gesundheitlich gefährdend eingestuft, könnte vermutlich aus viel Altholz plötzlich gefährlicher Abfall werden. „Der Grenzwert für Titandioxid liegt bei 1 Prozent. Alles was darüber liegt, muss als gefährlicher Abfall eingestuft und dementsprechend entsorgt werden“, verdeutlicht Ochs. Allerdings nur unter der Voraussetzung, dass es für diesen Abfall einen entsprechenden Spiegeleintrag im Europäischen Abfallverzeichnis gebe.

Das würde unter anderem auf alle Holzabfälle zutreffen, die unter den Abfallschlüssel 030105 fallen: Sägemehl, Späne, Abschnitte, Holz, Spanplatten und Furniere. Für diese gibt es einen solchen Spiegeleintrag mit Sternchen. All diese Stoffe würden, wenn mehr als 1 Prozent Titandioxid enthalten ist, zu gefährlichem Abfall werden.

Im Jahr 2016 sind laut Statistischem Bundesamt rund 2,5 Millionen Tonnen dieser Abfälle aus der Holzbearbeitung und der Herstellung von Platten, Möbeln, Zellstoffen, Papier und Pappe angefallen. Wie viel davon tatsächlich als gefährlicher Abfall eingestuft werden müsste, kann die BDE-Fachreferentin nicht sagen. „Eine Mengeneinschätzung können wir derzeit noch nicht vornehmen“, erklärte sie in ihrem Vortrag. „Es wäre aber sicherlich übertrieben zu sagen, die gesamten 2,5 Millionen Tonnen sind gefährliche Abfälle.“

Absatz von Recyclaten würde schwierig werden

Klar ist aber: Die (Rechts-)Folgen für das Recycling und die Entsorgung wären enorm. Nicht nur eine Anpassung der immissionsschutzrechtlichen Anlagengenehmigung nach 4. BImSchV wäre nötig, sondern gegebenenfalls sogar eine Nachrüstung der Anlage. Daneben müssten auch andere Anforderungen der Nachweisverordnung erfüllt werden, wie Ochs erklärte.

Hinzu kommt, dass aufgrund einer anderen Einstufung von Titandioxid andere landesrechtliche Andienungs- und Überlassungspflichten sowie neue Anforderungen an den Transport über Staatsgrenzen auf den Anlagenbetreiber zukämen. „Ihr Personal braucht zudem eine andere Schulung, da die Anforderungen an seiner Qualifikation steigen“, sagte Ochs. „Nicht zuletzt werden Sie Schwierigkeiten bekommen, für Ihre Recyclate Absatzmärkte zu finden.“


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Hintergrund: Neueinstufung von Titandioxid“]

  • Auf EU-Ebene wird über die harmonisierte Einstufung von Titandioxid diskutiert. Auslöser war ein alarmierender Bericht der französischen Behörde für Ernährung, Umwelt- und Arbeitsschutz (ANSES). Zu diesem Bericht hatte im Sommer 2016 eine öffentliche Konsultation stattgefunden.
  • Der zuständige Ausschuss für Risikobewertung (RAC) der Europäischen Chemikalienagentur (ECHA) hat den Vorschlag beraten und im Oktober vergangenen Jahres empfohlen, Titandioxid als „Cancerogen 2“ einzustufen. Somit stünde Titandioxid im Verdacht, beim Einatmen krebserzeugend zu wirken. Folglich müssten Produkte mit einem Gehalt von mindestens 1 Prozent Titandioxid gekennzeichnet werden und der entstehende Abfall würde als gefährlich eingestuft.
  • Innerhalb Europas ist das Stimmungsbild noch breit gefächert. Zu den Hardlinern, die Titandioxid unbedingt eingestuft sehen wollen, zählen Frankreich und Belgien. Länder wie Deutschland und Großbritannien dagegen sind der Meinung, dass eine Einstufung von Titandioxid keinerlei Nutzen für den Gesundheitsschutz hätte. Etliche EU-Staaten hatten beim letzten Meeting im April noch keine deutliche Position bezogen.
  • Nahezu jeder Industriebereich setzt Titandioxid ein. Es ist zum Beispiel enthalten in Lacken, Farben, Kunststoffen, Papier, Baustoffen, Stahl, Glas. Aber es findet sich auch in Kosmetika und Pharmaprodukten. Weitere Anwendungsbereiche sind Textilien, Leder oder Klebstoffe. Von einer Einstufung wären also viele Industrien direkt betroffen.

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Der BDE stemmt sich aber auch aus anderen Gründen gegen eine Neueinstufung von Titandioxid. „Der BDE stellt die Datenbasis komplett in Frage, auf der der Einstufungsvorschlag des Ausschusses für Risikobewertung der Europäischen Chemikalienagentur ECHA beruht“, sagte Ochs.

Nach Auffassung des Verbands ist das eher ein Arbeitsschutz- denn ein Verbraucherschutzthema. „Denn eine Gefährlichkeit liegt nur vor, wenn Titandioxid als Staub eingeatmet wird“, erklärte Ochs. In den EU-Mitgliedstaaten gebe es bereits entsprechende Staubgrenzwerte, in Deutschland einen Arbeitsplatzgrenzwert. Damit bestünden ausreichende Schutzvorkehrungen. „Wir brauchen keine Zusatzvorgabe, um über das Ziel hinauszuschießen“, so die BDE-Referentin.

Deutschland hat sich als erster EU-Staat klar positioniert

Schützenhilfe bei seiner Lobby-Arbeit auf EU-Ebene hat der BDE nun von der Bundesrepublik bekommen. Deutschland hat sich klar positioniert und sich in einer Stellungnahme an den Reach-Regelungsausschuss ausdrücklich gegen eine Einstufung von Titandioxid ausgesprochen – als erster EU-Staat überhaupt.

Die Bundesregierung bezweifelt in ihrer Stellungnahme, dass der Einstufungsvorschlag die richtige Maßnahme ist, um das Risiko zu begrenzen, das von diesem Stoff ausgehen kann. Stattdessen schlägt sie vor, die Vorschriften zum Arbeitsschutz bezüglich schwerlöslicher partikelförmiger Stäube mit geringer Toxizität in Europa zu vereinheitlichen und ein Gesamtkonzept zum sicheren Umgang mit diesen Stäuben zu erarbeiten.

Der BDE werde für den deutschen Vorschlag werben und auf andere EU-Staaten zugehen, kündigte Ochs an. „Diese Meinung muss an Akzeptanz gewinnen, muss mehrheitsfähig werden.“ Viel Zeit für Lobby-Arbeit bleibt aber nicht mehr. Ochs vermutet, dass die EU-Kommission im Dezember eine Entscheidung fällen könnte. Denn dann trifft sich der Reach-Regelungsausschuss wieder. Eine Abstimmung, ob Titandioxid eingestuft werden soll oder nicht, könnte bei diesem Termin stattfinden.

 

© 320° | 20.09.2018

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