Sorge um Standorte

Wenn Vertreter von Landesregierungen, der Stahlindustrie und Gewerkschaften sich bei einem Stahlgipfel solidarisieren, dann steht fest: Die Stahlbranche steckt in ernsten Schwierigkeiten. Wie steht es um die Zukunft der Branche?

Welche Zukunft hat die deutsche Stahlindustrie?


Am heutigen Montag gab es eine Premiere: Erstmalig fand in Deutschland ein Nationaler Stahlgipfel statt. Getroffen haben sich in Saarbrücken die Vertreter von Politik, Unternehmen und Beschäftigten, um gemeinsam für die Zukunft der Stahlbranche einzutreten. Zu groß ist ihre Sorge, dass die deutsche Stahlindustrie im internationalen Wettbewerb abgehängt wird.

In der Tat sind es schwierige Zeiten für die deutsche Stahlindustrie. Die Branche kämpft gegen steigende Kosten und ein Überangebot am Weltmarkt. Die Konfliktherde sind nicht nur groß, sondern auch vielfältig:

  • Internationale Handelskonflikte

Da sind zum einen die Marktverwerfungen aufgrund der US-Zölle auf Stahlimporte in die USA. Weil die USA ihren Stahlmarkt abschotten, sind die Stahlimporte in die USA zwischen Januar und Juli 2018 um 10 Prozent gesunken. Im gleichen Zeitraum haben die EU-Stahlimporte um 10 Prozent im Vergleich zum Vorjahr zugenommen. „Die Stahlindustrie in Deutschland und Europa bleibt von den massiven Umleitungen der Handelsströme besonders betroffen“, konstatiert Hans Jürgen Kerkhoff, Präsident der Wirtschaftsvereinigung Stahl.

Hinzu kommen die Überkapazitäten in der weltweiten Stahlindustrie, die sich nach Schätzungen der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) auf mehr als 500 Millionen Tonnen belaufen. Vor allem chinesische Hersteller werfen unverändert viel billigen Stahl auf den Weltmarkt. In erster Linie würden die Überkapazitäten durch unfaire Subventionen verursacht, meint Kerkhoff. „Solange diese nicht effektiv bekämpft werden können, wird auch das Problem der Überkapazitäten nicht gelöst“, so der Verbandspräsident. Eine Erneuerung des Regelwerks der WTO, gerade im Bereich wettbewerbsverzerrender Subventionen, sei unverzichtbar.

Die Risiken durch Handelskonflikte dämpfen auch die Wachstumserwartungen der Stahlbranche. Für 2019 rechnen die Werke nur noch mit einem Wachstum der Stahlnachfrage von 1,4 Prozent. Zum Vergleich: In diesem Jahr wird die Stahlnachfrage voraussichtlich um 3,9 Prozent zulegen.

  • Steigende Klimaschutz- und Energiekosten

Der Zeitung Die Welt sagte Kerkhoff vor dem Treffen in Saarbrücken, dass die Politik auch die steigenden Klimaschutz- und Energiekosten der Betriebe im Auge haben müsse: „Im kommenden Jahrzehnt drohen der Stahlindustrie in Deutschland allein durch den Kauf von Zertifikaten im Rahmen des EU-Emissionsrechtehandels Zusatzkosten von insgesamt 3,5 Milliarden Euro“, erklärte er. Hinzu kommt der Anstieg der Stromkosten. Das drückt auf die Wettbewerbsfähigkeit.

  • Veränderte Absatzmärkte

Zunehmende Risiken drohen der Stahlindustrie auch von der Automobilindustrie, einer wichtigen Abnehmerbranche. „Vielleicht hat das massive Problem schon angefangen, und wir haben es noch nicht mitbekommen“, sagt Roland Döhrn vom Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung (RWI). Angesichts des Wandels der Autoindustrie etwa zur E-Mobilität müsse die Stahlindustrie im laufenden Jahr mit einem Produktionsrückgang rechnen, meint er. Ob der Strukturwandel in der Autobranche auch Standorte und Jobs hierzulande bedrohen werde, sei schwer zu sagen, meinte Döhrn. „Wenn ich Autos für den chinesischen oder indischen Massenmarkt verkaufen will, kann ich das nicht zu deutschen Kosten.“

Obendrein hat der Trend zum Leichtbau in der Automobilindustrie vor allem den Einsatz von Aluminium begünstigt. Aluminium wiegt nur ein Drittel des Gewichts von Stahl. Inzwischen versuchen die Stahlwerke zwar, mit neuen Hybrid-Werkstoffen aus Stahl und Kunststoff zu punkten. Doch ob sie damit erfolgreich sein werden, muss sich erst zeigen.



Umweltfreundlicher Stahlschrott

Mit der neu geformten Stahlallianz sollen nun die Kräfte aller Akteure gebündelt werden. An dem Stahlgipfel nahmen Vertreter der sechs Bundesländer Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen, das Saarland sowie Brandenburg, Bremen und Hamburg teil. Besiegelt wurde der Gipfel mit einer „Allianz der Stahlländer“. Die Vereinbarung wurde mit Ausnahme Brandenburgs von allen Vertretern der Landesregierungen unterzeichnet. Ziel sei es, „die Kräfte zu bündeln, um einen starken Stahlstandort in Deutschland aber auch darüber hinausgehend in Europa für die Zukunft erhalten zu können“, sagte die saarländische Wirtschaftsministerin Anke Rehlinger (SPD).

Ihrer Ansicht nach habe die Vergangenheit gezeigt, „dass wir einen abgestimmteren und einen strategischeren Ansatz brauchen, als wir ihn bislang hatten“. In der Charta wird unter anderem darauf verwiesen, dass der Werkstoff Stahl für eine emissionsärmere Welt unverzichtbar sei. Damit der Stahlstandort Deutschland eine Zukunft habe, seien faire Wettbewerbs- und Rahmenbedingungen zwingend erforderlich.

Wie das Handelsblatt berichtet, fordert die Allianz fordert unter anderem, künftig mehr EU-Fördergelder für die Entwicklung klimaschonender Produktionstechnologien in der Stahlindustrie bereitzustellen. Die saarländische Wirtschaftsministerin Anke Rehlinger (SPD) und Nordrhein-Westfalens Wirtschaftsminister Andreas Pinkwart (FDP) äußerten Sympathie für die Idee, Teile der Einnahmen aus dem Emissionsrechtehandel als Forschungsgelder für Umwelttechnologien zu verwenden.

Der Stahlrecyclingverband BDSV reagierte prompt und erinnert daran, dass der Einsatz von Stahlschrott ein „probates Mittel“ zur Verminderung der CO2-Emissionen sei. Durch die Produktion von 12,6 Millionen Tonnen Rohstahl auf Basis des Sekundärrohstoffs Stahlschrott könne die Stahlindustrie in Deutschland rund 17 Millionen Tonnen CO2-Emissionen pro Jahr einsparen. Zudem ergebe sich eine signifikante Ersparnis von Ressourcen und eine Senkung des Energieverbrauchs um 72 Prozent im Vergleich zur Stahlerzeugung mit Primärrohstoffen.

 

© 320°/dpa | 22.10.2018

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