Urban Mining

Die vielen Smartphones in den Schubladen von Haushalten haben einen hohen Wert. Das zeigen neue Berechnungen. Demnach könnte mit den alten Geräten der Materialbedarf für neue Smartphones für zehn Jahre gedeckt werden. Zumindest theoretisch.

Wie wertvoll Schubladen-Handys für die Neuproduktion wären


Hat das Smartphone ausgedient, landet es oft in der Schublade. Rund 210 Millionen Alt-Handys lagerten im vergangenen Jahr nach Angaben des Digitalverbandes Bitkom in Haushalten in Deutschland. 87 Prozent der Bürgerinnen und Bürger verfügten demnach über mindestens ein ausrangiertes Handy. Seit 2015 habe sich diese Zahl mehr als verdoppelt.

Was da in den Schubladen liegt, hat einen hohen Wert. In einer Untersuchung von 2020 kam die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) zu dem Ergebnis, dass in den rund 200 Millionen Smartphones in deutschen Schubladen unter anderem rund 3,4 Tonnen Gold, 1.300 Tonnen Kupfer und 520 Tonnen Nickel stecken.

Forscherinnen des Instituts der deutschen Wirtschaft in Köln haben nun auch berechnet, wie die ungenutzten Handys wert sind. In einem am Montag veröffentlichten Bericht heißt es, dass der Wert des Metalls der ungenutzten Handys rund 240 Millionen Euro beträgt. Mit Blick auf den Materialwert der im Jahr 2021 verkauften Smartphones von 23,5 Millionen Euro könnten demnach die Schubladenhandys den Materialbedarf für neue Smartphones für über zehn Jahre decken. Die Autorinnen schränken die Berechnung allerdings selbst ein: Die Realität sehe anders aus, „da nicht alle Schubladenhandys dem Recycling zugeführt werden und außerdem komplett recycelbar sind“.

„Rohstoffe sind schwer abzuschätzen“

Genau das ist auch die größte Schwierigkeit beim Urban Mining. Unter Urban Mining oder auch anthropogenen Lagern verstehen Fachleute die menschengemachten Rohstoffvorkommen in Brücken, Autos, Häuser, Waschmaschinen – und eben auch Smartphones. „Es ist sehr schwer abzuschätzen, welche Rohstoffe wie und wann zu uns zurückkommen“, sagt Britta Bookhagen von der BGR.

 Zum einen sei gar nicht klar, wie viel Stahl oder Aluminium vor 50 Jahren in einem Auto oder einer Waschmaschine verbaut worden sei, noch wie das am sinnvollsten zurückzugewinnen sei und aufbereitet werde. Notwendig sei hier eine bessere Datenlage. Fest stehe nur, dass das urbane Lager wächst und einen hohen Wertstoffgehalt hat, sagt Bookhagen.

Zwar habe das Gewinnen von Rohstoffen aus der urbanen Mine viel Potenzial, um unabhängiger von Rohstoffimporten und von steigenden Kosten zu werden. „Aber man darf nicht vergessen: Selbst wenn wir alles aus der urbanen Mine herausholen könnten, würde das unseren Rohstoffbedarf nicht decken“, so die BGR-Vertreterin. Dafür sei der Rohstoffhunger zu groß.

Jedes Jahr 550 Millionen Tonnen mehr

Nach Berechnungen des Umweltbundesamts (UBA) setzt die deutsche Volkswirtschaft jährlich rund 1,3 Milliarden Tonnen an Materialien im Inland ein – hier sind sowohl Produkte wie Autos als auch reine Rohstoffe mitgezählt. Vor allem bei Metall- und Energierohstoffen ist die Bundesrepublik dabei stark von Importen abhängig, wie aus dem jüngsten Rohstoffsituationsbericht der BGR von Dezember hervorgeht. Besonders bei neu gewonnenen Metallen ist Deutschland dabei so gut wie vollständig importabhängig.

Die Wiederaufbereitung von Metallen oder Baumaterialien könne dazu beitragen, die natürlichen Ressourcen der Erde zu schonen – und dabei auch Treibhausgasemissionen, Grundwasserbeeinträchtigung und Biodiversitätsverlust zu reduzieren, sagt Felix Müller, beim UBA für das Thema Urban Mining zuständig. Hinzu komme die wirtschaftliche Komponente. „Die Vision ist, unabhängiger von Rohstoffimporten zu werden, vielmehr sollten wir mit der sekundären Gewinnung zu veritablen Rohstoffproduzenten werden. So können wir auch ein neues wirtschaftliches Feld erschließen.“

Jedes Jahr würde die anthropogenen Lager Deutschlands mit rund 550 Millionen Tonnen Material angereichert, erklärt der UBA-Vertreter. „Solange die Materialbestände so stark wachsen, sind wir von einer nachhaltigen Kreislaufwirtschaft noch weit entfernt. Aber das wachsende Lager birgt das immense Potenzial, Stoffkreisläufe in Zukunft weitaus besser zu schließen als uns dies bislang gelingt. Dafür müssen wir jetzt die Weichen stellen und Rahmenbedingungen anpassen.“ Derzeit werde daher auch von der Bundesregierung an einer nationalen Urban-Mining-Strategie gearbeitet.

320°/dpa/re

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